von Marxelinho

Allgemeiner Eigensinn

Als ich seinerzeit, es ist schon einige Zeit her, selber noch Fußball spielte, in einer Schülermannschaft in Oberösterreich in den siebziger Jahren, da gab es, in einer unbegriffenen Ahnung späteren Systemfußballs, den Vorwurf, einer wäre ein "eigensinniger" Spieler. In dem Vorwurf schwang auch immer Respekt mit, denn eigensinnig konnten nur gute Techniker sein. Idioten waren auch eigensinnig, bekamen dafür aber nie den Ball.

Salomon Kalou war gestern beim Auswärtsspiel in Gladbach in einem wichtigen Moment im besten Sinn eigensinnig. Eine offensive Situation im Strafraum war so verworren, dass sie nur mit einem Dribbling zu lösen war. Kalou fand diese Lösung, entschädigte die Mannschaft und die Fans damit für zahlreiche sinnlose Eigensinnigkeiten in den letzten Wochen, und brachte ein Spiel auf Kurs, das für Hertha-Fans vielleicht einmal einen bedeutenden Platz im Erinnerungskabinett einnehmen könnte.

Denn beim 3:0 klappte alles, es war aber auch fast alles bedacht worden. Gladbach ist keine übermächtige Mannschaft, sondern eine, die geduldig auf ihre Momente wartet. Es war also klar, dass das ein Matchplanmatch werden würde. Und Kalou sorgte dafür, dass es der Hertha-Matchplan wurde.

Ich steige mit dem Talisman von der Elfenbeinküste quer in die Erzählung von diesem Samstag ein, denn natürlich war das der Tag von Davie Selke. In der 55. Minute begab der Hertha-Stürmer sich auf eine sehr weite Reise: er bekam den Ball in der eigenen Hälfte auf der linken Seite, der Weg zum Tor schien unendlich, dazu hatte Matze Ginter (Nationalverteidiger) die Innenbahn. Selke, in diesem Moment taktisch zum Eigensinn im allgemeinen Interesse delegiert, trat an, verschaffte sich einen Vorteil, und dann kamen die Skillz. Selke brach ab, Ginter brach, erleichtert, auch ab, aber Selke hatte nur abgebrochen, um erneut anzutreten. Er beschleunigte noch einmal, und war nur schon im Sechzehner, dann im Fünfer.

Inzwischen war aber auch Personal in diese Bereiche zurückgekehrt, defensives Personal und dazu der blauweiße Intuitionsspieler Duda. Selke packte eine letzte Finte aus, und bediente den Kollegen, der wie schon des Öfteren in dieser Saison nur einschieben musste. Es war eine Weltklassetat der Nummer 27. Später krönte er seinen Tag mit einem Kopfballtor zum 3:0 nach Ecke von Duda.

Dass Hertha nach dem Pokalspiel gegen Bayern so in die Liga zurückkehren würde, war nicht zu erwarten gewesen. Man kann allerdings aus dem Gladbachspiel interessante Schlüsse auf die Betreuungsarbeit ziehen. Denn gestern war die Mannschaft exzellent aufgestellt. Die Formation war geradezu radikal verändert, dafür reichten drei Manöver, die aber alle deutlich in das Spiel ausstrahlten.

Ibisevic blieb auf der Bank, wodurch Selke endlich einmal der Target Man sein konnte, die Rolle, für die er wegen seiner vielfältigen Talente so gut geeignet ist. Hertha bekam wegen des Verzichts auf die Doppelspitze wieder ein Außenspiel, das zwar nach innen tendierte (Kalous Tor), aber auch defensiv für größere Sicherheit sorgte. Mein zweiter Mann des Spiels war Mittelstädt, der in vielen Kleinigkeiten eine spannende Entwicklung erkennen lässt.

Entscheidend war aber die Neubesetzung der Außenpositionen in der hinteren Linie. Klünter deutet an, dass er eine Option sein kann, das war schon gegen die Bayern (dort eine Position weiter vorn) zu erkennen. Der Clou war aber wohl Torunarigha als Vertretung von Plattenhardt. Hertha hatte damit endlich wieder ein Gefüge aus flexiblen Zweierachsen (Torunarigha-Mittelstädt, Grujic-Klünter, Klünter-Kalou, da gab es einen Super Pass, usw), in die sich Kollegen einschalten können. Torunarigha schlägt weniger Flanken, und ist deswegen vermutlich nur eine Aushilfe (und ein Fingerzeig) auf dieser Position, aber sein Spiel ist so viel variantenreicher als das des dramatisch einbeinigen Plattenhardt.

Hertha war auf Gladbach bestens vorbereitet, und das nach einer schlimmen Woche mit zwei dürftigen Heimspielen. Jetzt besteht gegen Bremen am kommenden Samstag eine ideale Gelegenheit, die Klischees zu bestätigen: Bei der Hertha, die wir kennen, müsste nun eigentlich ein desinteressierter Auftritt her. Mal sehen, ob da jemand für eine Überraschung gut ist.

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