von Marxelinho

Organisches und fatamorganisches Wachstum

Auf der Zielgerade der Transferperiode ist es für Hertha BSC noch einmal spannend geworden. Nicht, weil unbedingt noch ein Spieler her musste, sondern weil es noch zwei Wasserstandsmeldungen gab, was die Fantasie im Kader anlangt. Für Brooks und Darida gab es Angebote, jeweils um die zehn Millionen, allerdings von Clubs, bei denen die Versuchung für die Spieler nicht unüberwindlich war (Watford und Monaco).

Beide Spieler konnten gehalten werden. Damit geht Hertha mit einem Kader von 26 Spielern in die Hinrunde, darunter drei Talente (Körber, Mittelstädt, Kohls), in der Marktwerttabelle von Transfermarkt ergibt das den 10. Platz. Das ist gar nicht so schlecht, wenn man berücksichtigt, dass im Grunde nur zwei Teams weiter vorn liegen, bei denen dies vorwiegend auf gute Arbeit zurückzuführen ist: Gladbach und Mainz. Gladbach hat allerdings zusätzlich zu den sehr guten Voraussetzungen, die dort in Lauf der letzten Jahre geschaffen wurden, den Vorteil einer unschlagbaren Traditionsmarke.

Alle anderen in der oberen Hälfte der Marktwerttabelle sind entweder altes Establishment in der Bundesliga oder wurden durch Anschubfinanzierungen (Wolfsburg, Hoffenheim) nach oben befördert. Beim HSV trifft beides zugleich zu. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass Hertha einen Kühne-Effekt durch KKR auch schon hatte, der ging allerdings nahezu vollständig in Schuldenmanagement.

Die Marktwerttabelle ergibt auch ein spezifisches Mittelfeld: Hertha konkurriert mit Hamburg, Köln, Frankfurt und Bremen um die Positionen hinter dem ersten Drittel, die von Geldsackvereinen, zu denen auch Leipzig aufzuschließen im Begriff ist, aus unterschiedlichen Gründen gerade mal preisgegeben werden (der Fall Wolfsburg in der letzten Saison).

Wenn wir die Aktivitäten dieses Sommers richtig lesen, dann ist Hertha nach der "Sanierung" durch KKR allenfalls in eine Lage versetzt worden, mit den nun vorhandenen Werten vorsichtig zu arbeiten. Transferbilanzen müssen weitgehend ausgeglichen bleiben. Die inzwischen mehr oder weniger üblichen zehn Millionen für passable Spieler sind also nur denkbar bei Verkäufen in ähnlicher Größenordnung, oder bei neuen Kapitalzuflüssen.

Michael Preetz hat zwischendurch einmal die Möglichkeit eines weiteren Investors angedeutet. Es würde mich nicht wundern, wenn Hertha da die Szene irgendwann noch einmal so richtig überraschen würde - hoffentlich nicht mit einem Freak Investor aus einem Schwellenland. Ob Hertha da auch alle Handlungsfreiheit hat, wird man sehen müssen - es kann ja auch sein, dass KKR selbst mit einem Finanzier auftaucht, der es ihnen erlaubt, die Kasse zu machen, die nun einmal Unternehmenszweck ist. Nominell ist das zwar nicht vorgesehen, dass das so laufen kann, und 2021 ist auch noch ein Weilchen weg, aber schon manches langfristige Investment hat sich in dieser Welt als kurzlebiger als angekündigt erwiesen.

Wieviel Potential steckt also in dieser Gruppe von 26 Profis? Die Spieler mit Perspektive sind leicht zu identifizieren: Brooks und Darida wurden schon genannt, dazu kommt Mitchell Weiser (die Vertragsverlängerung bis 2020 war ein ganz wichtiger Schritt für Hertha), und natürlich Ondrej Duda, bei dessen Verpflichtung das Augenmerk auf den nächsten Schritt sicher eine große Rolle gespielt hat. Das ergibt, konservativ gedacht, vier Spieler von 26, die irgendwann Investititonsspielräume schaffen könnten - allerdings wird man sie dafür auch abgeben müssen.

Niklas Stark fällt wohl prinzipiell auch in diese Kategorie, er war gegen Freiburg nicht im Kader, weil er gesperrt war, unabhängig davon: klassischer Fall von momentan unklarem Verwendungszweck. Haraguchi würde ich eher vorsichtig einschätzen. Bei Sinan Kurt, um ein Beispiel aus den "long shots" zu nennen, ist aktuell nicht einmal ersichtlich, wie nahe er überhaupt am Spieltagskader ist.

Zu den vier Aushängeschildern kommen doch eine ganze Menge Profis, die man als verlässliche Sportler, wirtschaftlich aber unter Kleinkram einzuordnen hat. Dazu zählen auch frühere "Königstransfers" wie Valentin Stocker, während ein mäßig teurer Neuzugang wie Esswein unter Umständen noch einmal an Wert gewinnen kann. Dies alles auch vor dem Hintergrund, dass mit China ein neuer Faktor ins Spiel gekommen ist, der es auch (prinzipiell) erlaubt, gelegentlich unbrauchbare Spieler noch gewinnbringend zu veräußern. Bei Ronny hat das allerdings nicht geklappt.

Insgesamt ergibt dies eine keineswegs frustrierende Situation. Hertha befindet sich derzeit geradezu idealtypisch in einer Situation, in der man einerseits sportliche Integrität beanspruchen kann, andererseits aber auch (für die Liga) innovative Eigentümerverhältnisse schon ausprobiert hat. Ironischerweise scheinen die Fans einen "bail out" durch das internationale Finanzkapital eher zu akzeptieren, als wenn ein Krösus oder ein Konzern ein paar dutzend Millionen für einen De Bruyne auf den Tisch legt.

Hertha hat keinen berauschenden Kader, aber doch ein paar Spieler, auf die man beim ständig mitlaufenden inneren Managerspiel setzen kann, und eine insgesamt solide Personalstruktur, die gut zu dem latent konservativen Temperament von Pal Dardai passt. Hoffentlich schafft er es, dass ein paar Spieler besser werden.

Ein Saisonziel (von vielen) würde ich nach diesen Überlegungen nun auch definieren: Hertha sollte es auf jeden Fall schaffen, vor dem HSV zu landen. Das würde nämlich bedeuten, dass man mit organischem Kadermanagement weiter kommt als mit dem großen Wurf, den Kühne ermöglicht hat. Und das würde vermutlich bedeuten, dass Hertha auf einem guten Weg wäre. Denn 18. wird der HSV kaum werden.

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 1 plus 8.