von Marxelinho

Stille Genugtuung

Zehn Spiele wollte der Coach in der neuen Saison, bevor jemand den Stab über ihn bricht oder irgendetwas Definitives sieht. Nach neun Spielen und dem 3:0 gegen den HSV können wir sagen: Es hat sich gelohnt, zu warten, auch wenn die Irritationen nicht immer leicht zu verkraften waren, und auch jetzt noch nicht wirklich etwas Sicheres zu sagen ist. Denn jetzt käme es darauf an, die gute Mannschaftsleistung von Samstag einmal zu bestätigen. Paderborn auswärts kommende Woche ist dafür eine geradezu ideale Begegnung, dazwischen gibt es allerdings noch ein Pokalspiel.

Nach dem HSV-Spiel kann man so zwischenbilanzieren: Dritter Heimsieg en suite, zweiter verdienter Sieg, erstes Spiel, in dem die Mannschaft die Angebote des Spiels begriffen und über zwei Halbzeiten hinweg angenommen hat. Die Ergebnisse einer offensichtlich sinnvoll genutzten Trainingswoche waren in allen Mannschaftsteilen zu besichtigen. Hervorzuheben ist Fabian Lustenbergers gute Arbeit, die zudem meistens einen ganz besonderen Gegner hatte: Pierre-Michel Lasogga. Als der nunmehrige Hamburger Publikumsliebling nach 75 Minuten ausgewechselt wurde, hatten die Anhänger von Hertha einen Moment profunder Genugtuung, gehässig musste niemand sein.

War der HSV ein satisfaktionsfähiger Gegner? Zur Erinnerung: In der schwachen Rückrunde der vergangenen Saison nahm Hertha den HSV auswärts mit 3:0 auseinander. Dieses Mal war die Sache nicht so einfach, aber in der Konsequenz war es ein ähnlich klarer und verdienter Sieg. Er kam in Scheibchen, die Hertha von einem kämpferisch weitgehend ebenbürtigen Gegner abschnitt. Überraschend könnte vielleicht erscheinen, wie offen der HSV letztlich agierte, man kann durchaus Vergleiche mit dem Schalke-Spiel von letzter Woche ziehen, wo Hertha das Team war, das dem Gegner ein paar entscheidende Szenen anbot.

Auf einen Mann habe ich besonders geachtet: Salomon Kalou. Er spielt eine hochinteressante Rolle, denn es zeigt sich, dass er sein Engagement wirklich klug zu dosieren weiß. Er geht nur manchmal weite Wege, zwischendurch spielt er durchaus den lungernden Forward, der die Grashalme zählt, während anderswo die Rasenstücke fliegen (niemand verkörpert diesen Typus derzeit besser als Diego Costa bei Chelsea). Manchmal schaltet er sich aber in den Spielaufbau ein, holt Bälle, führt Zweikämpfe bis hinter die Mittellinie, und steht dem Umschaltspiel auch als Schaltstelle und nicht nur als Zielspieler zur Verfügung.

So auch beim Fürhungstreffer, bei dem er der Spieler vor dem Pass auf Änis-Ben Hatira war. Mit Stocker, Beerens und Ben-Hatira hat Hertha plötzlich wieder eine nennenswerte Offensivachse, keiner muss wirklich als zentraler Spielmacher alles an sich ziehen, es gibt ein Flügelspiel (Salous Kopfball in der ersten Halbzeit war das erste Signal). Dazu starke Leistungen von Skjelbred und Hosogai.

Es scheint, als wäre der ein wenig rätselhafte Kader inzwischen und zumindest für den Moment entziffert, es gibt Verlierer (Plattenhardt konnte sich noch gar nicht zeigen, Hegeler konnte sich nicht zwingend zeigen), und es gibt einen Gewinner, der zu den umstrittensten Spielern gehört: Von Änis Ben-Hatira halten viele Leute, die ich kenne und deren Fußballverstand ich schätze, nicht so viel. Dabei hat er das Zeug zur Identifikationsfigur für Berlin wie kaum ein anderer.

Und sein Fußball wächst gerade so ein bisschen zusammen. Dass er das Spiel mit einer Verletzung beendete, ist allerdings typisch: Pech hat er nämlich auch genug. Wie er den Ball zum 3:0 mitnahm, und wie er dann abschloss, das war jedenfalls große Klasse und zeugt davon, dass einer, der das Spiel liebt, gerade auch die Gründe wiederentdeckt, warum es so toll ist.

Einer der Gründe ist natürlich der Raum, der sich im Umschaltspiel bietet, und den man eben nur live so richtig mitbekommt. Deswegen finde ich die neue Hertha-Tendenz, zu Hause zu gewinnen, unbedingt begrüßenswert, und Tore wie das 2:0, bei dem Heitinga kaum wusste, wie ihm geschah, nehmen wir selbstverständlich gern mit.

Änis Ben-Hatira postete dann im digitalen Netzwerk noch ein Kabinen-Selfie der siegreichen Mannschaft. Mittendrin der schon lange verletzte Tolga Cigerci. Das nehme ich als gutes Zeichen für die nächsten Wochen. Hertha lebt, auf jeden Fall mehr als der HSV. Und von Änis Ben-Hatira kommt im Moment mehr als nur digitale Inspiration.

Noch eine Bemerkung zur historischen Einordnung. Vor ziemlich genau fünf Jahren spielte Hertha auch um diese Jahreszeit daheim gegen den HSV. Das Spiel endete mit 1:3, Sascha Burchert bekam das ganze schlechte Horoskop, das Hertha damals gehabt haben muss, um die Ohren, und der gerade frisch bestellte Friedhelm Funkel, die zweite wichtige Personalentscheidung des neuen Managers Michael Preetz, konnte die Mannschaft mit seiner biederen Methodik nie auf Kurs bringen.

Wie sehr mir das alles noch in den Knochen steckt, habe ich gestern an der stillen Freude bemerkt, mit der ich nach Hause fuhr (kein Grinsen, dazu besteht kein Anlass), eine Freude, die einfach die Abwesenheit von Widersinn vermerkt: die U-Bahn fährt, Hertha spielt, nichts scheint sich verschworen zu haben, eine ansprechende Leistung wird mit einem Sieg belohnt. Alles wie es sein soll, und wie es so oft doch nicht ist.

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