Unter Hertha-Fans gibt es schon lange einen eingeführten Begriff für den Umstand, der gestern das Auswärtsspiel in Augsburg entschieden hat: Sie sprechen von "Hintenrumscheiße". Ein Mittel, das im heutigen Fußball aufgrund seiner raumgreifenden Schnelligkeit ganz normal geworden ist, ist bei Hertha zu einem Mittel geworden, die Raumerschließung zu vermeiden. Der Rückpass zum Torwart, bei agileren Mannschaften ein Relais, ist bei Hertha zum Relaxantium geworden. Also zu einem Abführmittel.
Gestern kam der katastrophale Fehler dann ausgerechnet durch Rune Jarstein. Wir erinnern uns: Als Pal Dardai die Mannschaft übernahm, war eine seine ersten Personalentscheidungen die Beförderung von Jarstein. Er galt als der bessere Fußballer im Vergleich zu Thomas Kraft, und muss dadurch leider auch als Promotor der Hintenrumscheiße gelten. Denn die Mannschaft machte von dieser Möglichkeit deutlich zu häufig Gebrauch.
Jarstein war in den letzten Jahren ein sehr guter, phasenweise ein herausragender Keeper. Gestern wirkte er schon vor der relevanten Szene schläfrig. Und die Mannschaft tat auch nichts, um ihn aufzuwecken. In der ersten Viertelstunde, als das Spiel noch offen war, gab es zwei Andeutungen von Spielzügen, der Rest war abwartender Kontrollfußball ohne Kontrolle. Also genau das, wovon man von Hertha in diesem Jahr schon zu viel gesehen hatte.
Beide Gegentore in dieser Phase fielen durch Pressing. Mittelstädt meint, er hätte alle Zeit der Welt, um einen Ball wegzuschlagen, er trifft aber Richter. Den Freistoß schlägt Max brillant so, dass es zu einer Meinungsverschiedenheit in Herthas Hintermannschaft kommt. Der Großteil spielt auf Abseits (bleibt also stehen, was natürlich auch die bequemere Lösung ist), einer zweifelt an dieser Strategie, wirksam eingreifen kann und will niemand. Ein Gegentreffer, der einen Trainer zur Verzweiflung treiben müsste. Fans eigentlich auch, aber wir haben einfach schon zu viel erlebt mit Hertha, um nicht achselzuckend und resigniert wieder einmal alle Hoffnungen auf eine interessante Saison fahren zu lassen. Sie sind natürlich leicht wiederbelebbar, diese Hoffnungen, niemand lebt auf Dauer gern mit Resignation.
Es war ein Schlüsselspiel gestern, wie auch das bei Union vor einiger Zeit schon eines war. Der Vergleich bringt es auf den Punkt: Hertha lässt sich unter Ante Covic von rechtschaffenen Fußballarbeitsgruppen ganz einfach auspressen. Engagiertes Anlaufen und Zustellen reicht leicht, um Hertha aus dem Konzept zu bringen. Das berühmte Herausspielen, von dem Covic gern spricht, gelingt nicht, weil zu wenige Spieler dafür Verantwortung übernehmen. Es gab sehr diskrete Ansätze gestern in den ersten fünfzehn Minuten, eine geringfügig verbesserte Beweglichkeit im zentralen Mittelfeld und mit einem einrückenden Dilrosun. Aber schwache Tagesform (Skjelbred) und die tief eingeprägte Hintenrumscheiße verhinderten positive Erfahrungen.
Im Grunde ist Ante Covic damit geliefert. Denn gestern wurde deutlich, dass seine Arbeit über die von Pal Dardai nicht hinausführt. Und das war ja der Auftrag. Leider ist die Arbeit von Michael Preetz, der jetzt schon über einige Jahre eine sehr gute Personalplanung macht, damit von der Spitze her beschädigt. Er hat sich zum zweiten Mal mit einem Trainer assoziiert, der Hertha nicht weiterbringt, und der nun schon Gefahr läuft, auch die Konsolidierung unter Dardai zu gefährden.
Im Sommer hätte es Möglichkeiten gegeben, dem Club von außen Impulse zu geben. Ich denke vor allem an Oliver Glasner. Es gab da ein Fenster der Gelegenheit. Michael Preetz muss sich nun wohl doch vorwerfen lassen, dass er lieber in der Komfortzone blieb: Mit Covic konnte er im Grunde nur gewinnen, denn jetzt ist auch noch nichts verloren, Platz 11 ist für Hertha in dieser Saison immer noch drin. Allerdings kaum unter Covic.
Bedauerlich ist diese Angelegenheit nicht nur aus persönlichen Gründen. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Covic reüssiert hätte, aber nun muss wohl eine rasche Lösung her - vielleicht mit Labbadia bis zum Sommer? Man könnte allenfalls noch argumentieren, dass das Comeback von Arne Maier eine allerletzte Chance für Covic bringen könnte, gegen den BVB noch einmal eine Mannschaft zu formieren, die sich von der Hintenreinscheiße, die aus der Hintenrumscheiße leicht wird, zu emanzipieren.
Wir sollten uns alle wünschen, dass bis Weihnachten noch Schritte zu einer Entwicklung sichtbar werden. Denn andernfalls könnte der Geldesel einen Strategiewechsel verlangen: Übersprungshandlungen mit dem Scheckbuch.
PS Es war nicht ohne Ironie, dass selbst der übertragende Sender von der Hintenrumscheiße schon genug hatte. Das zweite Tor entging der Regie um ein Haar, weil Sky lieber eine Zeitlupe zeigte als den "Spielaufbau" von Hertha.
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