Alleingehungsmerkmale

Das Freundschaftsspiel gegen den Liverpool FC am Samstagnachmittag war nicht in allen Belangen eine würdige Veranstaltung. Aus befreundeten Fankreisen (ich bin ja Einzelgänger) hatte ich schon mitgekriegt, dass die Ostkurve sich nicht einbringen wollte - als man ihr dann allerdings Frank Zander mit Kindergitarre vor die Nase stellte, gab es doch noch ein halbherziges "Nur nach Hause".

Woran sich die wahren Fans genau stoßen, weiß ich nicht, vermutlich hat es mit dem Umstand zu tun, dass zu so einem Jubiläum mit einem globalen Topclub halt andere Leute kommen als die, die demnächst am Samstagnachmittag gegen den VfB Stuttgart regulär zur Arbeit gehen. Als Event war das Spiel dann aber gar nicht zu werten, es gab halt längere Schlangen vor den Bratwürsten, und mehr Selfies mit Hertinho, und Jürgen Klopp war im Stadion. Thats it.

Fußball wurde dann auch gespielt, und zwar relativ seriös. Für mich war es das erste Spiel in dieser Saison, der erste Kontakt mit der Mannschaft, die dann doch an entscheidenden Teilen die alte geblieben war. Skjelbred auf der 6, der Vedator vorn im Zentrum, Jarstein wieder im Tor. Lustenberger auf der Position, die Langkamp verteidigen wollen wird.

Duda konnte sich auf der 10 zeigen, Leckie zum ersten Mal vor großem Publikum als neuer Haraguchi, und Karim Rekik sollte andeuten, warum er nur ein Viertel so teuer wie John Brooks ist, dabei aber möglicherweise mehr wert. Um es kurz zu sagen: Hertha war in allen Belangen unterlegen, außer in vielen Details, die aber nie die entscheidenden waren.

Liverpool musste sich nicht groß anstrengen, es reichten ein paar raffierte Pässe, der Rest war elastische Kompaktheit. Lustenberger und Rekik sahen jeweils bei einem Gegentreffer individuell schlecht aus, der Niederländer hatte aber auch gute Szenen in der Ballbehauptung und im Tackling. Auch Duda und Leckie hatten so kleine Momenten, die auf mehr hoffen lassen.

Die Problemzonen sind sowieso bekannt. Auch und gerade wenn Darida einen Siebener spielt, also einen defensiv weitgehend gebundenen Achter, wird Hertha einen spielintelligenten Sechser brauchen, der mehr ist als nur Abräumer. Ich bin sehr gespannt, was sich da noch tut - einige Freunde waren ja von der Idee ganz angetan, dass der profilierteste Hair Experimenter im Team, Valentin Stocker, dort eine neue Bestimmung finden könnte.

Die letzte halbe Stunde, in der die Jugend forschte, war gar nicht schlecht, wobei Liverpool da wie ein höflicher Gast nicht mehr darauf bestand, noch einen Streit anzuzetteln.

Hertha und Liverpool bleiben auch in Hinkunft durch dieses Datum 1892 miteinander verbunden. Es ist allerdings eine Verbindung, die immer wieder bestätigt werden muss. Die Spannung zwischen authentischer Fußballkultur und globaler Strahlkraft wird hoffentlich ein Thema bleiben, solange Hertha sich überhaupt auf einem Weg befindet, der Vergleiche mit Liverpool und Hoffnungen auf weltweite Wahrnehmung erlaubt. Auch nur Vergleiche, um zu lernen. Einen Ort wie Anfield schafft man nicht in ein paar Jahren, und sicher nicht mit Frank Zander, aber auch nicht mit den Selfiefans.

Hertha kann sicher noch ein Weilchen ironisch mit den Traditionsdefiziten und mit dem Antiglamour umgehen, der die Marke umgibt. Irgendwann wird sich auch da eine Richtung abzeichnen. Wobei ich mir gestern doch wieder einmal innerlich sehr laut dachte: Müssen wir wirklich bis in alle Ewigkeit an einer Hymne festhalten, die aus mit den schlimmsten Tagen des Vereins stammt, und die in etwa den Gänsehauteffekt einer kollektiven Bratwurstbestellung hat? Aber gut, ich bin da keine relevante Stimme, denn für mich ist Hertha BSC ja nur auf dem Papier 125 Jahre alt, und ich bin auch kein (West-)Berliner, ich trinke bei Spielen kein Bier.


Die Richtung der Markenpflege gab Hertha ohnehin deutlich vor: Man will sich an die Stadt Berlin mit ihrem Image anhängen. Aber auch die ist ja im Kern deutlich provinzieller, als sie es gern zugeben würde. So lebt man halt als Fan mit seiner Stadt, seinem Verein, seinen Träumen und seinen Realitäten.

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