Als wir träumten

"Ich hab hier nicht mal eine komische Typ", hat Pal Dardai in der Pressekonferenz vor dem Auswärtsspiel gesagt. Das war keine Beschwerde an den Manager Michael Preetz, der neben ihm saß. Sondern es war, in dem originellen Deutsch, das der Chefcoach von Hertha als gebürtiger Ungar spricht, eine Aussage über den Kader. Es gibt keinen Grund, sich darüber zu beschweren.

Ich würde sogar noch weiter gehen: Hertha BSC hatte selten eine so spannende Gruppe von Spielern wie zur Zeit. Wobei da auch schon ein Akzent deutlich wird: der Kader hat Qualität, er hat aber auch Perspektive. Viele Spieler könnten sich gut entwickeln, wenn die Mannschaft gut entwickelt. Das wird die Aufgabe von Pal Dardai sein, wenn er sich als Trainer auch zu entwickeln versucht.

Die PK ging er eher defensiv an. Das muss man nicht überbewerten, enthält aber doch ein Indiz: Dardai weiß, dass er mit Ansprüchen konfrontiert ist. Die Zeitungen haben sogar davon geschrieben, dass der Manager auch Erwartungen an ihn herangetragen hat. Und dann ist da noch die Sache mit der Rückrundenschwäche: Es spricht viel dafür, sie einfach zu vergessen, aber so funktionieren Medien halt nicht.

Dardai steht also nicht unter Druck, aber er ließ doch erkennen, dass er angespannt ist. Seine Intelligenz erlaubt es ihm, die Spannung in der PK mit fast schon theatralischen Elementen aufzulösen - er übernimmt einfach rhetorisch auch gleich den Part der Fragensteller, und macht eine kleine Show aus der Debatte um die Zielvorstellungen. Aber er zeigt mit dieser Vorwegnahme der üblichen Debatten auch, wie sehr sie ihn selbst beschäftigen.

Dabei lässt sich die Sache ja leicht klären. Für das deklarierte Saisonziel eines einstelligen Tabellenplatzes liegt Hertha gerade noch im Plan. Wir wissen aber natürlich auch, dass dieses Ziel diplomatisch formuliert war, angemessen für eine Liga mit einer sehr flachen Hierarchie. De facto ist dieses Ziel eine Deckung, aus der man sich nach Möglichkeit herauswagen könnte. Hertha hat in der Hinrunde angedeutet, dass die Qualität dafür da ist.

Pal Dardai verwendete in der PK zweimal den Begriff "reinbeißen". Und er ergänzte: spielerische Elemente sind nicht das Wichtigste. (Auch deswegen, das erwähnte er nebenbei, weil die Liga noch einige Wochen auf tiefen Böden die sekundären Tugenden beschwören muss, ein Problem, von dem in England nie jemand spricht.)

Hertha sollte sich in diese Rückrunde aber besser nicht "reinbeißen". Zwar gibt es tatsächlich so etwas wie ein Mentalitätsproblem, dieses ist aber nur ein Aspekt eines Identitätsproblems. Hertha muss sich immer noch erst finden. Es ist die Aufgabe von Pal Dardai, der Mannschaft dieses Identität zu vermitteln. Sie lässt sich in etwa so umreißen: Hertha muss die Transformationsmythologie hinter sich lassen. Die Zeiten des Übergangs, des Neuaufbaus, der Konsolidierung sind vorbei. Hertha muss sich vorbehaltlos der Liga stellen, auch vorbehaltlos den eigenen Möglichkeiten.

Das ist besonders für den Chefcoach schwierig, denn er kommt ja aus der Zeit der Konsolidierung. Sein Weg bei Hertha führte von einem Beinaheabstieg in den Europacup, und nun geht es an die Justierung. Die Geschäftsführung Sport hat in diesen Jahren insgesamt ziemlich gut gearbeitet: Dardai hat Personal für ein bestens integriertes Spiel, also für eine Überwindung der längst obsoleten Alternative zwischen "erst mal das Spiel auf sich zukommen lassen" und "Spiel machen".

Hertha darf, wie jede andere Mannschaft, das Spiel niemals auf sicn zukommen lassen, sondern muss in jedem Moment in der Lage zu sein, gute Entscheidungen zu treffen, wo und wie um den Ballgewinn zu kämpfen ist und was danach mit dem Ball gemacht werden kann. Das verlangt von den individuellen Spielern eine hohe Bereitschaft zu interessanten Entscheidungen.

Hier sehe ich einen springenden Punkt bei Hertha: konventionelle Lösungen liegen immer noch zu nahe. Dabei ist inzwischen das Personal da, mit dem sich in der Gruppe spannende Lösungen für Situationen erfinden lassen: Maier, Torunarigha, Grujic, Selke haben das alle drauf. Das ist etwas anderes, als sich in Spiele "reinzubeißen". Das ist die hohe Kunst, in einem hart umkämpften Gruppensport die eigenen Momente klug zu nutzen - das kann auch ein Rückpass oder ein Abbruch eines Spielzugs sein, aber diese Möglichkeit sollte nie die von vornherein näherliegende Lösung sein.

Da hat Hertha eindeutig noch Möglichkeiten, denn da braucht es wirklich alle elf Spieler, schon wenn zwei oder drei sich auf ihr längst bekanntes Repertoire beschränken, hakt es. Dardai wiederum muss Spieler aufstellen, die an ihrem Repertoire arbeiten, die sich selbst noch verblüffen wollen. Und die zugleich mit ihrem Repertoire der Mannschaft Sicherheit geben.

Damit lässt sich ein Ziel für diese Rückrunde benennen: Hertha sollte versuchen, sich besser kennenzulernen, indem die Mannschaft sich mit ihren eigenen (positiven) Überraschungen konfrontiert.

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