Ein Anhänger des FC Arsenal unterhält uns während der Europameisterschaft mit "hektischen" Tweets, in denen er jeden neuen Transfer-Hype aufs Korn nimmt: We should buy Locatelli. We should buy Gavranovic. We should buy Morata. Bei dem spanischen Stürmer hat sich die Nachfrage vielleicht am schnellsten gedreht: sein Tor gegen Italien war ein Gedicht, sein Elfer ein Drama. In Frage gekommen war er ohnehin nie.
Der Hintergrund ist natürlich, dass Arsenal noch ein bisschen mehr als andere Clubs in einer Transferperiode steckt, in der es um sehr viel geht. Die abgelaufene Saison endete auf Platz 8, zum ersten Mal seit Ewigkeiten wird es 2021/22 keine Spiele in Europa geben. Arsenal steht vor einem kompletten Neuaufbau.
Ich will versuchen, die wichtigsten Aspekte zu benennen. Die Saison 2020/21 war im Grunde im Dezember schon gelaufen. Eine rätselhafte Lethargie war in vielen Spielen zu bemerken, es fehlte jeglicher Flow. Ein Umschwung kam am Boxing Day mit einem 3:1 gegen Chelsea und dem Spieler, der einer meiner Kandidaten für Man of the Season wäre: Emile Smith Rowe wurde aus dem Nachwuchs in das erste Team befördert. Er erwies sich als extrem belebend, und blieb auch dann meist im Team, als mit Odegaard ein "echter" Zehner von Real Madrid ausgeliehen wurde.
Smith Rowe hat noch Vertrag bis 2023, eine Verlängerung wird gerade verhandelt, und wäre von maximaler Bedeutung. Denn mit Tierney, Saka und Martinelli wurden drei weitere Junge schon langfristig gebunden, aber erst Smith Rowe würde daraus eine echte potentielle Achse machen. Er wird ab und zu mit Özil verglichen, da ist auch etwas dran, er spielt tolle Pässe, sein eigentliches Talent sehe ich aber in seiner Art, sich zu bewegen, er kann mit Ball beschleunigen, spielt deswegen auch ab und zu auf Außenpositionen, er findet Räume und verknüpft Laufwege. Ein Tor gegen Westbromwich Albion am 2.1.2021 zählt für mich zu den besten Kombinationen ever.
Involviert war dabei auch der für meine Begriffe unbedankte Held der abgelaufenen Saison: Lacazette erwies sich als echter Führungsspieler, er schuf gerade mit Saka und Smith Rowe viel Inspiration. Seine Verletzung vor den Semifinal-Spielen in der Europa League gegen Villareal erwies sich als großer Verlust, obwohl das nur wenige so betonten. Lacazette steht diesen Sommer zum Verkauf. Dass Arteta seinen essentiellen Beitrag so gravierend übersieht, finde ich ein schlechtes Zeichen.
Allerdings hat diese Personale natürlich auch mit Aubameyang zu tun, der noch zwei Jahre einen sehr teuren Vertrag hat, und der zwar prinzipiell gut mit Lacazette harmoniert, indem er von links kommt. Lacazette möchte sicher nicht unter Wert geschlagen werden, muss sich nun aber de facto mit dem Panik-Kontrakt vergleichen, den Arsenal 2020 mit Aubameyang abgeschlossen hat. Es sieht alles danach aus, dass einer der wertvollsten Spieler der letzten Monate damit Arsenal vielleicht schon diesen Sommer, sonst aber nächsten ablösefrei verlassen wird. Immerhin steht mit Balogun ein sehr interessanter Junger aus dem eigenen Nachwuchs vor weiteren Einsätzen in der ersten Elf. Nketiah würde ich verkaufen, so ist es wohl auch vorgesehen. Pepe hatte zum Saisonende hin einen guten Lauf, bleibt aber ein irrlichternder, oft frustrierender Spieler.
Im Mittelfeld sollte 2021/22 die Saison von Thomas Partey werden. Er war der Königstransfer vor einem Jahr, kam von Atletico, kam aber von Beginn an nicht so richtig in den Rhythmus, war mehrfach verletzt, wurde von Arteta zu früh wieder eingesetzt. Er war bisher relativ fehleranfällig (Ballverluste und Fouls in gefährlichen Bereichen, also im Grunde Xhaka-Sünden), hat aber großes strategisches Potential. Xhaka wird für einen Abgang gehandelt, ich wäre froh, wenn Arsenal ihn los wäre, er ist aber sehr schwer adäquat zu ersetzen. Das mag jetzt widersprüchlich klingen, und ist es auch. Xhaka ist selber widersprüchlich: ein Führungsspieler, der dann doch oft nicht führt, ein Spielgestalter, der sich oft aus dem Spiel nimmt.
Arsenal wird auf dieser Position investieren, ein junger Spieler wird schon sehr konkret genannt: Albert Sami Lokonga von Anderlecht. Er wäre aber wohl eher etwas für eine langsame Heranführung an das Team. Joe Willock hatte eine begeisternde Ausleihe in Newcastle, er traf acht Mal, nun ist die Frage, ob und wo Arsenal ihn brauchen kann: die Position neben Partey wäre vergleichsweise Neuland für ihn, er hat bisher weiter vorn gespielt, im Grunde konkurriert er am ehesten mit Smith Rowe, der es seinerseits mit einem erwarteten neuen Zehner (Aouar von Olympique Lyon?) aufnehmen muss. Ceballos hat sich insgesamt nicht für eine weitere Zeit bei Arsenal empfohlen. Elneny ist sehr in Ordnung, aber kein Spieler für kontinuierlich größere Aufgaben.
Bei der Defensive ist der Abgang von David Luiz zu verzeichnen. Sergio Ramos, auf den einige Fans gehofft hatten (ich nicht, ich mag ihn nicht, und ich bin gegen diese Altersheimverträge, siehe Khedira bei Hertha), geht zu Paris Saint-Germain. William Saliba, die vielleicht merwkürdigste Personalie bei Arsenal in den letzten Jahren, scheint für Arteta keine Rolle zu spielen und wird womöglich nie ein Spiel für Arsenal machen. Bleiben zentral Gabriel und Holding. Bemühungen um Ben White von Brighton sind anscheinend weit gediehen, da geht es aber um sehr viel Geld, um die 60 Millionen Euro. Sein Vorzug: er ist polyvalent, und Engländer. Gabriel hatte im Vorjahr einen guten Start, hatte dann aber zunehmend Probleme, zum Teil auch mit der riskanten Taktik von Arteta, der an der Mittellinie Mann gegen Mann manchmal ohne Absicherung spielen lässt. Holding halte ich für einen verlässlichen Mann, potentiell sogar für einen Kapitän. Ich würde auch gern Calum Chambers wieder auf dieser Position sehen, aber das scheint Arteta nicht in Betracht zu ziehen.
In Ansätzen hat man 2021 bei Arsenal ein begeisterndes Spiel gesehen, das Wengerball auf eine neue Ebene heben würde. Allerdings gab es auch desaströse Spiele (beide Begegnungen gegen Liverpool verbrachte die Mannschaft in einer absoluten Chancenlosigkeit, ausgepresst von einem Gegner, der sonst so viele Probleme hatte), und es gab Leerläufe und Ermattung in entscheidenden Momenten. Das Man Management von Arteta war nicht immer plausibel.
Als Zwischenstand will aber doch schon einmal eine Mannschaft (samt Understudies) skizzieren, um den Fortgang des Transfersommers besser einordnen zu können.
Tor: Leno (will eventuell schon diesen Sommer weg), Arthur Okonkwo (Academy-Talent, könnte schneller befördert werden als erwartet, jedenfalls zum zweiten Keeper), Zukauf: könnte notwendig werden, vielleicht sogar eine neue Nummer eins
Verteidigung: Bellerin (denkbarer Abgang), Chambers (denkbare Zweitbesetzung rechts hinten), Holding (Stammspieler oder Konkurrent von Ben White), Ben White (mal sehen), Gabriel (Stammspieler, nicht 100 % ideal), Pablo Mari (eher dritte Wahl für mich), Tierney (Stammspieler, künftiger Kapitän), Nuno Tavares (Neuzugang von Benfica, Perspektivspieler, vielversprechend), Cedric Soares (Perspektiven unklar), Maitland-Niles (Perspektive Verkauf), William Saliba (unklar)
Mittelfeld: Partey (Stamm- und Führungsspieler), Xhaka (unklar), Willock (unklar), Torreira (Rückkehr von einer Leihe bei Atleti, unklar, Perspektive Abgang), Elneny (zweite Wahl). Guendouzi geht zu Marseille, er war einmal ein Hoffnungsträger, konnte das aber letztendlich nicht bestätigen
Offensive: Saka (Stammspieler rechts außen), Smith Rowe (Stammspieler zentral), Aubameyang (wohl oder übel Stammspieler, besser über links als zentral), Lacazette (sollte er bleiben: für mich Stammspieler), Pepe (Stammspieler, aber wo?), Martinelli (Toptalent, es gibt aber keinen Platz für ihn), Willian (sinnloser Zugang 2020), Balogun (künftiger Thierry Henry?)
Gesamteindruck: in feinen Umrissen ist da eine junge, dynamische, absolut grandiose Mannschaft zu erkennen, es fehlen aber vier, fünf Stützen. Arsenal will Spieler kaufen, die Wertsteigerung
Kommentare
Einen Kommentar schreiben