Auch andere Bewerbe haben schöne Töchter

Nach der Heimniederlage gegen Darmstadt 98 bleibt Hertha nur noch ein einziges, kleines, fieses Saisonziel (neben einigen anderen, die ja schon erreicht, und dem einen, das deutlich überboten wurde): Nicht auch noch hinter Fleischprom 04 zurückfallen. Platz 6 verteidigen, vielleicht sogar, jetzt werde ich schon unbescheiden, aus eigener Kraft, also durch einen Punkt oder einen Sieg in Mainz - der würde allerdings vielleicht sogar noch Platz 5 bedeuten.

Ein erfolgreicher Auftritt in Mainz wäre auch deswegen wichtig, weil sonst sogar noch ein Abstiegsplatz in der Rückrundentabelle möglich ist - das sähe dann gar nicht gut aus, zumal für einen Europacupteilnehmer. Aber auch jetzt schon gibt es kein Vertun mehr: Hertha ist 2016 eingebrochen. Der Unterschied zu der katastrophalen Rückrunde 2014 unter Jos Luhukay beträgt gerade einmal vier Punkte. Mit der CL-Qualifikation, die am Samstag zwanzig Minuten lang noch in Reichweite lag, wäre die Mannschaft radikal überbewertet gewesen.

Pal Dardai hat in der Pressekonferenz nach dem Spiel vor allem mentale Aspekte angesprochen: Die Mannschaft ist ihm zu brav, auch "viel zu intelligent", er sieht lauter Schwiegersöhne, aber keine "Wettkampftypen". Für uns uneingeweihte Beobachter stellt sich dabei die Frage, ob er mit dieser Sprachregelung nicht einen Aspekt still und heimlich beiseiteschaffen will, den er aus guten Gründen nicht selbst thematisieren wird: die Fitness, das Belastungsmanagement, der Eindruck, dass die Mannschaft ausgelaugt ist. Vladimir Darida wirkte noch im Interview nach dem Spiel, als wäre er vollkommen kaputt. Seine zweite Halbzeit war schwach, seine Standards hatten eine Qualität von maximal 50 Prozent.

Niemand will an einer Saison herumnörgeln, über die wir alle im Endergebnis froh und dankbar sein können. Aber dass Hertha am vorletzten Spieltag gegen eine Mannschaft im Abstiegskampf einen so schwachen Auftritt zeigt, kann man nicht einfach mit Einstellung erklären. Da muss noch etwas anderes dahinterstecken, etwas, das erklärt, warum bei Ballbesitz immer nur ein Spieler, wenn überhaupt, einen Spielzug anbietet.

Salomon Kalou hat versucht, das durch Einzelleistungen zu kompensieren, er war wesentlich an dem frühen Führungstreffer beteiligt, den dann Darida nach Hereingabe von Mittelstädt (zweiter Ball) erzielte. Das Tor gehört aber zu einem Drittel Ibisevic, der sich da einmal im offensiven Mittelfeld interessant durchsetzte.

Danach ging aber nicht mehr viel, der Abnützungskampf, in den Darmstadt den Gegner zwingt, war genau das, worauf eine erschöpfte Hertha sich nicht einstellen konnte. Der junge Mittelstädt in Vertretung von Plattenhardt hatte einen schweren Stand, aber das eigentliche Problem war einmal mehr Herthas Zentrale. Wetten, dass Fabian Lustenberger nächstes Jahr noch Kapitän ist, werden nur wenige eingehen wollen, allerdings drängt sich auch keineswegs ein Nachfolger auf.

Es zählt zu den herausragenden Eigenschaften von Pal Dardai, dass er bisher immer recht genau benannte, woran es haperte. Er spricht auf eine Weise über die Mannschaft und das Spiel, die jederzeit konstruktiv ist. Insofern wäre es erstaunlich, wenn er nicht auch in der Lage wäre, die Fitnessarbeit zu hinterfragen. Er hat sie ja selbst gelegentlich angesprochen, hat die extremen Schichten erwähnt, zu denen er den Fachmann Kuchno aufgefordert hat. Das ist alles für die interne Revision.

Der Umgang mit dem Personal wirft auch Fragen auf. Gegen Darmstadt spielte weitgehend die "erste Elf", es gelang die ganze Rückrunde hindurch nicht, die Problemzone in den Griff zu bekommen: für ein Spiel über die Flügel braucht es ein Scharnier in der Mitte, denn Plattenhardt oder Weiser können ja nicht einfach los- und überlaufen, während ihr Partner an der Außenlinie drei Gegner beschäftigt. Der kurze Pass in eine Halbposition an der Mittellinie, der fehlte Hertha eigentlich die ganze Saison. Es ist ein Pass, der auf intensiver, kleinteiliger Laufarbeit mehrerer Spieler beruht. Hertha war vermutlich die Mannschaft mit den meisten Pässen in die Innenverteidigung und auf den Tormann.

Aber gut, wir sprechen hier von Dingen, die wir in dieser Saison vielleicht zu früh wieder für normal zu halten begannen. Denn das sind Elemente eines gestaltenden Spiels, bis in den Dezember und gerade auch im Hinspiel gegen Darmstadt hatte noch ein effektives Umschaltspiel genügt. Hertha hatte auch deswegen eine schwierige Rückrunde, weil die Ansprüche an das eigene Spiel (gestellt von den Gegner, den Fans, letztlich aber von der eigenen Leistung, auf der man sich ja nie ausruhen kann) auf schwindende Kräfte und zunehmende mentale Belastungen trafen.

Nehmen wir die Rückrunde als Anpassungsübung. Einige Spiele deuteten an, dass diese Übung auch gelungen ist. Gegen einen Wettkampftypen wie Sandro Wagner braucht es aber eben Mittel, die man sich hart erarbeiten muss: eine Balance aus Gelassenheit, technischer Überlegenheit und Robustheit. Vor allem aber eine Prise Leichtigkeit. Damit ist in dieser Saison aber wohl nicht mehr zu rechnen. Mit einen Leistungen und Einnahmen aus 2015/16 kann man aber guten Mutes in die nächste blicken. Und das Spiel in Mainz kann man nehmen als das, das es ist: das allerwichtigste, weil das allernächste.

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