Auch Bullenhass braucht Argumente


In der Bundesliga gibt es grob gesprochen drei Kategorien von Saisonzielen. Das erste ist der einfache Klassenerhalt, mit möglichst wenig Drama einen Platz oberhalb des 16. zu erreichen. Das zweite ist die Teilnahme an einem europäischen Bewerb. Das dritte gilt für Mannschaften, die sich nicht sicher sicher sind, ob sie für die dicke Luft im Rennen um Europa ausreichend gerüstet sind - das Ziel ist dann entweder Top Ten oder der berühmte einstellige Tabellenplatz. (Ein viertes Saisonziel ist die Meisterschaft, aber dieser Bewerb muss erst wieder eröffnet werden.)

Hertha BSC hat sich vor dieser Saison für das Saisonziel des geringsten Widerstands entschieden, und es gestern mit einem 2:6 gegen Red Bull Lepizig vor eigenem Publikum auch erreicht: Platz 10, 43 Punkte, Tordifferenz 43:46 (also nach den beiden schwachen Spielen zum Schluss doch wieder negativ). Zum Vergleich: 2017 waren es sechs Punkte mehr, Tordifferenz minus 4 und Platz 6.

Gegen diese tabellarische Überbewertung im Sommer 2017 wollte Hertha sich mit dem vorsichtigen Saisonziel absichern. Aber wie es oft eben so ist: im Sport kommt der Erfolg auch von den Zielen, die man sich setzt. Hertha hatte in diesem Jahr als Ziel einen zweifachen Abstand: man wollte sowohl mit Inkompetenz wie auch mit Ambition nichts zu tun haben. Im Endeffekt ist die Mannschaft damit zu sich selbst auf Abstand gegangen. Sie wirkte selten so, als wüsste sie, was sie tun will. Es gab ab und zu Anzeichen eines Plans, aber wer nach Mustern suchen wollte, wird sich schwer tun, konstruktive zu finden.

Die letzten beiden Spiele in dieser Saison boten die Möglichkeit, einen Akzent zu setzen - für die Sommerpause, für die Transferperiode, auch für eine vereinspolitisch sehr wichtige Phase, denn irgendwann muss die Stadionfrage doch auf den Tisch, und so wie Hertha sich in diesem Jahr präsentiert hat, wird die sowieso nicht für mutige und kluge Entwürfe bekannte Berliner Politik sich leichter auf einen faulen Kompromiss wie den Umbau des Oly versteifen können.

Dass die Mannschaft sich von RB Leipzig so vorführen ließ, fällt auf Pal Dardai zurück. Schon die ganze Rückrunde hindurch gibt es so etwas wie ein Instruktionsdefizit: Hertha ist zu häufig in einer Position, in der die Mannschaft ein Spiel erst suchen muss. Üblicherweise verteilt sich das Verhältnis von Initiative und Reaktionsweisen ja nach Tabellenplatz, symbolischem Standing und taktischer Ordnung so halbwegs nach geläufigen Kriterien. Hertha allerdings hatte eine Vielzahl von unklaren Spielen, hatte nach vorn wenig Plan und war defensiv oft porös. 46 Gegentore sind eine Menge, auch wenn neun davon aus den letzten zwei Spielen stammen.

Im Vorjahr wurde Hertha mehr oder weniger in die Europa League gespült, in diesem Jahr verhält es sich ähnlich mit den Top Ten. Bremen, Augsburg, Hannover und die alte Dame bilden einen Block der Solidität, aus dem Hertha sich zum Ende hin tendenziell nach unten verabschiedete.

Die Ostkurve, die gegen die starke rote Präsenz im Westen des Oly zum Teil nur fundamentalistisch zu reagieren vermochte ("Bullenhass"), wird letztlich wissen, dass der Digitalbeauftragte nicht das Problem ist (auch wenn sich Hertha tatsächlich mit dessen Ideen immer wieder lächerlich macht). Die Auseinandersetzung mit den Wettbewerbsverzerrungen im deutschen Fußball muss sportpolitisch, vor allem aber sportlich geführt werden. Hertha hat im Dezember in Leipzig gezeigt, was eine Mannschaft, die etwas will, gegen die Dosen erreichen kann.

Von diesem großen Moment war in der Rückrunde nicht mehr viel zu erkennen. Hertha hat unter den eigenen Möglichkeiten gespielt, mit diesem Kader war mehr drin, und so beschränkt die Möglichkeiten im Vergleich zu dem angeschobenen Club aus Leipzig sind, es sind doch Möglichkeiten. Wir können nur hoffen, dass Pal Dardai die Kultur der Ausrede, die er in diesem Jahr etabliert hat, im Sommer durch eine Kultur der Ambition ersetzt. Ich spreche nicht von Europa oder irgendwelchen Tabellenplätzen, ich spreche von einer erkennbaren Bemühung um eine positive sportliche Identität. Dann könnte eines Tages das Ostderby, das gestern schon ziemlich genau die Zuschauerzahl hatte, die ein neues Stadion ungefähr ausverkauft hätte, ein echter Klassiker werden. Und man könnte den Bullen etwas anderes entgegensetzen als hilflosen Hass.


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