Berliner Weg in den Abgrund

Zehn Jahre Kapitalismus bei Hertha BSC: Ein Überblick

Seit Freitag wissen wir, dass der Everton FC nicht Teil der "Familie" werden wird, der Hertha BSC seit einer Weile angehört. Eine Familie, die zugleich ein Portfolio ist: eine Gruppe von Fußballvereinen, bei denen sich die amerilkanische Investment-Konstruktion 777 Partners finanziell engagiert hat. 777 hat nicht die Mittel, um Everton zu erwerben. Es sieht sogar stark danach aus, dass 777 auch nicht die Mittel hat, um das Engagement bei den anderen Clubs (darunter der CFC Genua und Standard Lüttich) aufrecht zu erhalten. De facto sieht es – ich mache mir einen Reim auf Medienberichte – danach aus, dass 777 im Verhältnis zu seinen Verbindlichkeiten insgesamt über unzureichende Mittel verfügt. Und so überrascht es nicht, dass nun auch gemeldet wird, dass alle Fußballbeteiligungen von 777 zur Disposition stehen. Auch die 78,8 Prozent Aktien an der KGaA von Hertha BSC.

Damit wäre das dritte Engagement einer Beteiligungsgesellschaft bei Hertha BSC Geschichte. Die dritte Station auf einem Berliner Weg, der vor zehn Jahren begann, als ein vergleichsweise kleiner Teil der Aktien an KKR veräußert wurde: Das war damals der erste Vertrag mit einem Investor, den Ingo Schiller abschloß. Ein Vertrag, der plausibel wirkte. Und Hertha war damals auf einem guten Weg. Michael Preetz holte interessante Spieler wie Niklas Stark, Mitchell Weiser oder Salomon Kalou nach Berlin. Unter Pal Dardai spielte die Mannschaft eine Weile ziemlich gut, es gab Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Der Höhenflug verlor bald an Schwung, aber Hertha stand am Ende der Saison 2017/18 auf Platz 10, also im Mittelfeld.

Bis heute ist nicht wirklich klar, warum Hertha damals verfrüht und dem Eindruck nach überhastet die Zusammenarbeit mit KKR beendete. Jedenfalls kaufte Hertha die Anteile von KKR zurück, deutlich vor Ablauf der sieben Jahre, auf die das Investment ursprünglich angelegt war. Aus diesem Vorgang stammt die relativ hoch verzinste Anleihe über 40 Millionen Euro, die im Vorjahr um zwei Jahre verlängert wurde, also nach heutigem Stand 2025 zur Rückzahlung ansteht. Insgesamt zahlte Hertha damals knapp 70 Millionen an KKR und gehörte danach wieder sich selbst.

Sinn würde ein solcher Vorgang machen, wenn man bereits einen neuen Investor in der Hinterhand hat, einen potenteren oder einen, der besser zum Fußball passt als KKR. Das scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein. Stattdessen präsentierte Ingo Schiller im Juni 2019 ein britisches (schließlich: niederländisches) Vehikel, rund um das der deutsche Geschäftsmann Lars Windhorst seine verschlungenen Aktivitäten organisiert. Diese Geschichte haben wir noch relativ gut im Kopf: Insgesamt flossen bis Oktober 2020 374 Millionen in die KgaA, die dafür 66,6 ihrer Anteile an Peil Investment abtrat. Hertha machte in dieser Zeit, die durch Geisterspiele wegen der Covid-Pandemie gekennzeichnet war, beträchtliche Verluste – meiner Laieneinschätzung nach ist die Höhe dieser Verluste im Vergleich zu anderen Bundesligisten mit ähnlichen Parametern nach wie vor erklärungsbedürftig und zumindest ungewöhnlich.

Sportlichen Erfolg brachte das viele Geld nicht. Hertha erreichte 2021 den 14. Tabellenplatz, 2022 den 16., 2023 den 18. – und spielt seither in der zweiten Bundesliga. Höflich gesprochen, war die ganze Angelegenheit mit Lars Windhorst bei Hertha BSC ein großes Missverständnis. Und es war nur konsequent, dass danach auch endlich Schluss war für Ingo Schiller, den Architekten der zunehmend abenteuerlicheren Experimente mit den Kapitalmärkten. Den Einstieg von 777 und die Bedingungen, die Hertha unter dem neuen Präsidenten Kay Bernstein aushandelte, müssen wir uns so vorstellen, dass der Club mit dem Rücken zur Wand stand. Nun steht 777 selbst mit dem Rücken zur Wand.

Hertha hat nach KKR fahrlässig gehandelt. Es gab unzureichendes Interesse an der Herkunft der Gelder, die von Peil und später 777 kamen. Bei ein bisschen Interesse hätte klar sein müssen, dass es sich in beiden Fällen um hoch spekulative Konstruktionen handelte. Dass in beiden Fällen immer wieder Tranchen auf den Konten von Hertha eintrafen, ist dazu kein Widerspruch: das Geschäftsmodell dieser "Partner" beruht darauf, mit verschachtelten Buchungen und Bilanztricks so lange wie möglich irgendeine Form von Liquidität (oder zumindest den Anschein davon) aufrecht zu erhalten.

Nun steht Hertha vor einer weiteren Saison in Liga zwei und einer unklaren Eigentümersituation. Die Geschäftsführer von 777, die auf das Fußball-Portfolio setzten, sind schon entmachtet. Zweimal hat der Club sich aus Investments, die nicht nach Plan liefen, herausgekauft, jedes Mal um einen deutlich höheren Preis. Man müsste blind sein, um da keine Tendenz zu erkennen. Hertha ist inzwischen den Kapitalmärkten so ziemlich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Einen Berliner Weg gibt es nicht erst seit 2022, sondern schon seit zehn Jahren: Kein anderer Club in der Bundesliga wurde von seinem Management so brutal dem spekulativen Geld zum Fraß vorgeworfen. Und keine Anhängerschaft wurde so um die Nase herumgeführt – vor allem die Vorgänge 2018/2019 sind in hohem Maß untersuchungswürdig, wie auch im Detail die Bilanzen der Covid-Jahre.

Kay Bernsteins Rolle in dieser Angelegenheit ist von außen nicht leicht einzuschätzen, aber es relativ klar, dass er zu Kompromissen gezwungen war, die er als Geschäftsmann verstanden haben wird, die ihn aber als Ultra geschmerzt haben müssen. Der Deal mit 777 hat Aspekte eines faustischen Pakts (zu dem der Deal mit Wndhorst das groteske Vorspiel war). Bei Goethe hat die Tragödie einen zweiten Teil. Aber es bleibt eine Tragödie. Und bei Hertha BSC?

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