von Marxelinho

Brauchtum

Was ist eigentlich ein gebrauchter Tag? Diese Redewendung kommt ja gern zur Anwendung, wenn etwas nicht so läuft, wie man ursprünglich meinte. Gebrauchte Tage gibt es im Prinzip nicht, denn jeder Tag bringt etwas Neues, manchmal fühlt es sich aber so an, als hätte jemand anderer den Tag schon benützt, und nur noch die leere Hülle davon übriggelassen.

Wenn man in diesem Bild bleiben wollte, dann hatte Hertha gestern einen abgelaufenen Tag. Einen Tag, den man im Supermarkt aus dem Regal räumen müsste, weil er der Kundschaft nicht mehr zuzumuten ist. 0:3 im Olympiastadion gegen RB Leipzig, dazu (oder vor allem?) ein offenkundiges Zerwürfnis der Ostkurve mit dem Management, und kalt war es auch noch. Kalt wird es jetzt auch bis in den März bleiben, je nachdem, was der Winter in Berlin auf einem Planeten so hergibt, der gerade aus dem vertrauten Klimagleichgewicht kippt.

Pal Dardai spricht gern von Tagesform, er hält nicht viel von Formkurven. Die Kurve gäbe nämlich zu erkennen, dass Hertha sich nach einem beachtlichen Start gerade im Mittelfeld der Tabelle einsortiert. Zweimal hintereinander war die Mannschaft jetzt einem Spitzenteam doch deutlich unterlegen. Gegen den BVB ließ sich das noch irgendwie übertünchen, gegen Leipzig aber war die Sache unerfreulich unübersehbar.

Hertha ließ sich auspressen wie ein gebrauchter Tag, und war am Ende nicht mehr zu verwenden. Die taktische Formation erwies sich als verfehlt: Lustenberger in der Mitte einer Sechserkette mit viel Unwucht (links Plattenhardt und Mittelstädt). Davor Maier mehr oder weniger allein inmitten der sehr beweglichen Leipziger. Auffällig ist, dass Hertha sich derzeit eine Menge Konter fängt. Eine spannende Spielanlage ist skizzenhaft immer noch zu erkennen, gestern blieb aber die Reinschrift aus: gute Chancen blieben ungenutzt.

Die wichtigste Phase war die Viertelstunde nach der Pause, als es darum ging, ins Spiel zurückzukommen. Gerade diese 15 Minuten dominierte Leipzig mit intensivem Pressing nach Belieben, und Plattenhardt (den Dardai besser schon in der Pause ausgewechselt hätte) besorgte mit einem haarsträubenden Ballverlust die Vorentscheidung zur Vorentscheidung.

Vor uns liegt eine Woche, in der viel zu klären ist. Sportlich und sportpolitisch. Die sieben verbleibenden Spiele bis Weihnachten lassen eine hervorragende Hinrunde immer noch möglich erscheinen. Aber gestern hatte man nicht den Eindruck, als wollte der Kern der Anhänger nächste Woche wieder zur Tagesordung übergehen. Und wie findet die Mannschaft aus den Abnutzungserscheinungen wieder hinaus? Der November ist sowieso kein angenehmer Monat.

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 5 plus 1.