Breitenwirkung mit Tiefenschärfe

Hertha hatte dem aktuellen FC Bayern München am Samstag in der Allianz-Arena nicht genügend entgegenzusetzen. Ein Schnappschuss, den ich kurz vor Anpfiff gemacht habe, enthält zwar die wesentlichen Beteiligten (Müller und Coman erzielten die Treffer für die Galaggtischen), vermittelt aber nicht das wahre Bild. Ich saß ziemlich ideal für eine taktische Sicht auf das Spiel, an einer Ecke, sodass ich einerseits bestimmte Konstellationen genauer beobachten konnte, zum Beispiel den Flügelspieler Lahm, andererseits hatte ich ein sehr übersichtliches Bild von den Schwierigkeiten, aus der Bedrängnis hinauszuspielen. Als John Brooks sich einmal festlief, konnte ich förmlich seine zunehmende Panik spüren, die sich aus der Kombination von Ballbesitz und Raummangel ergab. Der anschließende Bayern-Angriff brachte nichts ein.

In der Fachsprache hat sich in den letzten Jahren unter anderem der Begriff der Überladung eingebürgert. Das System des FCB beruht darauf, ein wenig paradox, aber aufgrund der technischen Könnerschaft aller einzelnen Protagonisten machbar, dass in der Breite überladen wird. Hertha spielte mit Fünfer- und Viererkette, also de facto oft mit einer Neunerkette gegen eine immer wieder radikal horizontale Siebenerkette, aus der sich dann kleine, tückische Bewegungen ergaben wie der Lauf von Lewandowski, mit dem schon nach zehn Minuten klar wurde, dass hier immer wieder Dinge zu schnell liefen für eine mit irdischer Begabung ausgestattete Mannschaft.

Dass der Führungstreffer dann aus einer Standardsituation fiel, war fast so etwas wie ein kleines Kompliment für die wackeren Bemühungen von Hertha, allerdings wurden auch die Corner immer häufiger. Das 2:0 noch vor der Pause war dann schon Dominanzsignal allererster Ordung: so ein elegantes, experimentelles Manöver macht man nur, wenn man sich völlig sicher weiß, Martinez war weit aufgerückt, Coman hatte sich nach innen geschlichen. Dass es beim 2:0 blieb, war vielleicht auch dem Wetter zuzuschreiben - es war ein absolut greißlicher Tag, wie sie in dieser Gegend der Republik wohl sagen würden. Der Wintereinbruch hatte sich am Vormittag bemerkbar gemacht, und forderte seinen Tribut vor allen in der langen Wartezeit vor den Toren - einer der Nachteile der Allianz-Arena ist die Zentralisierung des Einlasses.

Ich saß umgeben von einer international durchmischten Schar von Fans, die von den vielen Erfolgen ihrer Mannschaft keineswegs verwöhnt schienen, sondern fast gierig nach jeder weiteren Bestätigung der absoluten Überlegenheit verlangten. Plattenhardts "Schuss", eine der wenigen Gelegenheiten von Hertha, wurde lautstark verhöhnt, in der Pause ging es nur noch um die Höhe des Schützenfestes. Andauernder Erfolg macht offensichtlich süchtig, die Leute um mich herum machten auf mich tatsächlich so ein bisschen den Eindruck von Junkies, die ihre Dosis kontinuierlich erhöhen muss. Jetzt kann ich auch den kalten Truthahn besser verstehen, den sie zuletzt zweimal im April serviert bekamen.

Hertha wird noch eine Weile brauchen, wenn sie überhaupt jemals in die Liga der Teams aufrückt, die den FC Bayern fordern können. Für den Ansatz mit der massierten Deckung waren die Entlastungsversuche zu zaghaft, Haraguchis Chance war allerdings ein gutes Zeichen. Das Langzeitprojekt der Heimholung des FC Bayern in die irdische Wirklichkeit muss derzeit eher auf interne Faktoren bei denen selber setzen: Dass Guardiola unter den aktuellen Gegebenheiten nicht verlängern könnte, wäre eine Schrulle von einiger Größe. Er würde die Welt des Fußballs damit spannender machen als viele brave Coaches, die gegen diesen FCB versuchen, etwas auszubaldowern. Und dann schlägt Jerome Boateng einen Ball ... Wurscht.

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