Capital Kay

Ich bin zwei Mal Mitglied des Vereins Hertha BSC geworden. Einmal 2004, da war ich gerade erst ein paar Jahre in Berlin, hatte seit zwei Jahren eine Dauerkarte und ein Premiere-Abo, und war im Begriff, mich in einen Vollzeit-Fußballfan zu verwandeln. Und dann noch einmal voriges Jahr im April, nachdem ich wegen Lars Windhorst davor die Mitgliedschaft gekündigt hatte. Im April 2023 stand die ausgegliederte Fußballprofi-Abteilung von Hertha sportlich schlecht da, finanziell noch schlechter. Aber es gab auch Hoffnung. Die peinliche und für mich unerträgliche Figur Windhorst war Geschichte, und 2022 hatte die MV einen Präsidenten gewählt, der auch meine Stimme gehabt hätte: Kay Bernstein, einer aus der Ostkurve.

Einer aus dem Osten der Stadt, von dem gestern mehrfach noch einmal der weite Weg beschrieben wurde, den er zu Hertha hatte: Marzahn, später Hoppegarten, Lichtenberg, Alex, Westkreuz, Oly. Ein Unternehmer, ein Ultra, einer, der die enorme Spannung zu überbrücken versuchte, von der der Profifußball gezeichnet ist. Hertha hat sich diesen Spannungen lange zu entziehen versucht, ein Club, den ich anfangs nur in seiner sportlichen Strahlkraft wahrnahm, nach dem Aufstieg 1997. Der Hauptstadtclub war damals im Innersten ein Provinzclub, geprägt vom Mief der West-Berliner Verhältnisse und von einer CDU-Nähe, die der Stadt enormen Schaden beschert hat.

Ich hatte nie eine Gelegenheit, mit Kay Bernstein zu sprechen, auch nie eine gesucht. Ich war als Fan immer am Rande, sitze auf bürgerlichen Plätzen, wo man eine taktische Draufsicht auf das Spiel hat, bei Auswärtsfahrten stehe ich auch gelegentlich auf der anderen Seite. Ich bin meist allein unterwegs, kenne und schätze aber einige Fanlegenden. Wenn ich eine Gelegenheit gehabt hätte, mit Fanlegende Kay Bernstein ein paar Stunden zu verbringen, ich hätte mir mit ihm die Serie Capital B angeschaut – und hätte ihn darum gebeten, zu erzählen, wie er Hertha in dieser Saga der Enttäuschung sah. Einer Saga, in der eine offene Stadt nach der Wende von größenwahnsinnigen und korrupten Politikern an das Kapital verraten wird.

Hertha war da immer irgendwie dabei, schon unter Dieter Hoeneß, der den ersten Schub in die strukturelle finanzielle Schieflage von Hertha im Zeichen der New Economy-Blase gab. Ingo Schiller war dann über viele Jahre der Architekt, der mit Bilanzakrobatik und immer abenteuerlicheren Equity-Konstruktionen die Schlinge um die KGaA enger zog. Wenn man in Capital B Unbelehrbaren wie Eberhard Diepgen zuhört, dann kriegt man eine gute Idee davon, in welchem Milieu damals auch Hertha agierte. Kay Bernstein bekam es 2022 de facto mit der Konkursmasse dieser zwei Jahrzehnte  zu tun. Er wollte das, er trug dazu bei, den Konkurs abzuwenden. Hertha konnte der DFL sogar die aus meiner Sicht eindeutigen Umgehungskonstruktionen der 50+1-Regeln so vermitteln, dass sie dort als zulässig gewertet wurden.

Das muss ein enormer innerlicher Widerspruch gewesen sein, aber er war eben auch beides, Doppel-U, Ultra und Unternehmer. Und damit eine ideale Besetzung für die Rolle, gemeinsam mit den anderen Verantwortlichen bei Hertha ein Auskommen mit dem amerikanische Investment-Vehikel Triple 7 zu finden. Hertha gehört jetzt zu einer Familie, mit dem FC Everton, FC Genua oder dem FC Sevilla. Josh Wander, das Gesicht von 777 Partners, sprach ausdrücklich von einer Ära der "Hyperkommerzialisierung", die im Fußball gerade noch einmal wirkmächtiger wird.

Inmitten dieser Hyperkommerzialisierung startete Hertha unter Bernstein ein romantisches Projekt in Liga zwo, mit vier Dardais, 10000 neuen Mitgliedern und einer zum Teil grandiosen Atmosphäre im Oly. Der Erfolg im Pokal gegen den HSV neulich war das Zeichen dieser besonderen Zeit: etwas für die Fußballgeschichte, jedenfalls für die Hertha-Geschichte, ein legendärer Abend, extrem auf Kante genäht.

Wir Hertha-Fans müssen Kay Bernstein sehr dankbar sein, dass er sich das alles angetan hat. Im Grunde haben wohl alle Fans diesen Traum, ihren Verein zu übernehmen, und ihn zu großen Zielen zu führen. Der Kapitalismus im Fußball kommt aus Strukturen, die das ermöglichen. Basisdemokratischen Strukturen. Die Mitglieder von Hertha BSC haben 2022 Intelligenz bewiesen, als sie nur mit einer Minderheit für Frank Steffel gestimmt haben. Kay Bernstein war nicht lange Präsident. Aber hinter diese Monate kann, soll, darf Hertha BSC nicht mehr zurückfallen. Jetzt erst waren wir wirklich ein Hauptstadtclub. Aus der Capital Kay.

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Kommentare

Kommentar von Natalie |

Danke Bert.
Danke für die Würdigung dessen, was Kay geleistet hat.
Der Beste, den Hertha je haben könnte.

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