Chaostheorie

Es trifft sich gut, dass jetzt Länderspielpause ist, denn Hertha BSC hat am Sonntagabend in Wolfsburg ein Spiel gemacht, für dessen Analyse man auch mehr als eine Woche aufwenden könnte. Mit dem 3:3 zeigte sich der Trainer am Ende zufrieden. Aber mit der Leistung vor allem in der ersten Halbzeit kann er es unmöglich sein. So chaotisch hat man Hertha lange nicht gesehen, allerdings haben sich die Schwächen, die da erkennbar wurden, schon des Längeren abgezeichnet.

Eine Rolle spielte sicher das frühe Führungstor. Ibisevic traf nach nur zwanzig Sekunden, in Folge einer frühen Balleroberung und eines guten Passes von Lazaro. Danach aber flog Hertha das Spiel vierzig Minuten lang um die Ohren. Ein Elfmeter (verschossen), zwei Tore (abseits, aber in der Entstehung trotzdem Ausweis katastrophaler defensiver Abstimmung), zwei reguläre Tore.

Wenn in der zweiten Halbzeit nicht ein Tor nach einem Standard (Koproduktion Plattenhardt-Rekik) den Gleichstand wiederhergestellt hätte, hätte Hertha gegen Malli, Didavi, Origi und Gomez auch untergehen können. Einen weiteren Gegentreffer nach einem Eckball egalisierte dann aber Selke nach Vorarbeit von (!) Skjelbred. Das Spiel war zu diesem Zeitpunkt schon so entfesselt, dass der Norweger, der sich normalerweise weigert, selbst einen fünftletzten Offensivpass zu spielen, dieses Mal einen "final pass" erbrachte, und zwar fast schon im Strafraum. So weit vorn sieht man ihn sonst manchmal ganze Halbserien nicht.

Vermutlich muss man bis zu einem gewissen Grad akzeptieren, dass es Spiele gibt, die so konfus sind, dass man sie nicht mehr richtig einfangen kann. Aber auch in diesem Fall war vieles aufschlussreich. Den ersten Sachverhalt kennen wir ohnehin schon: Herthas Kompaktheit ist ein Mythos. Die Mannschaft ist häufig porös, besondere Schwächen zeigen sich in der Geistesgegenwart und im Zweikampfverhalten (Skjelbred vor dem Elfmeter, typische Aktion).

Der offensive Sachverhalt ist auch interessant. Pal Dardai ließ nach dem Spiel durchklingen, dass es einen Matchplan gegeben hat, den er sogar bis zu einem gewissen Grad bestätigt sehen kann. Er wollte gut verteidigen und dann sorgfältig nach vorne kombinieren. Er sprach ausdrücklich von Kurzpassspiel, und im Fernsehen konnte man ihn auch einmal dabei sehen, wie er Rekik auf einen langen Ball ansprach (spieleröffnend, gegnerbeliefernd) - das wollte er so nicht wieder sehen.

Herthas "Kurzpassspiel" lahmt aber schon und vor allem im ersten Drittel, aus Gründen, die hier schon mehrfach angesprochen wurden. Mit der Einwechslung von Maier wurde die Sache besser, was eine Weile nicht so deutlich war, weil da Wolfsburg immer noch dominierte. Ich habe Maier vor ein paar Wochen einmal bei der U23 gesehen, damals wäre mir kaum aufgefallen, was er nun schon mehrfach bei den Profis gezeigt hat. Er ist der erste Sechser beinahe seit überhaupt bei Hertha, der einen echten Verbinder zwischen den Linien spielen kann. Sein Vertrag läuft bis 2019. Er wird von Rogon beraten. Es wäre mehr als ratsam, ihn sofort langfristig zu binden.

Selbst dem Sky-Reporter fielen die Qualitäten von Maier auf: Er ist geschickt im Zweikampf, und seine Ballbehandlung ermöglicht ihm schnelles Umschalten auf engstem Raum. Umschalten ist ja ein komplexer Prozess, der im Grunde bei der Ballannahme geistig schon abgeschlossen sein muss. Man bemerkt da bei Hertha auch einen Generationenunterschied. Maier und Selke können Dinge, die nicht viele bei Hertha können, auch Mitch Weiser nicht, jedenfalls nicht in der rätselhaft schwachen Form dieser Saison.

Selkes Einwechslung machte dann tatsächlich den Unterschied zwischen einer Blamage und einem relativen Erfolgserlebnis. Dardai deutete auch Konditionsvorteile zum Ende hin an, eine interessante Behauptung, der aber zumindest vom Augenschein her nichts entgegensteht. Hertha ist mit drei blauen Augen davon gekommen, hat sich aber in der unteren Tabellenhälfte konsolidiert. Für das Erreichen auch nur des defensiven Saisonziels (Top Ten) müssen sich mehrere Spieler ganz gehörig nach der Decke strecken.

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