Davie Longlegs strikes again

Hertha BSC ist auf dem besten Weg, das Gefälle zwischen Hin- und Rückrunde abzuschaffen. In den Jahren davor war das ein Markenzeichen gewesen, dass auf gute Hinrunden eine schwache Rückrunde folgte. In diesem Jahr war die Hinrunde passabel, und die Rückrunde läuft in etwa aufs Gleiche hinaus. Mit dem Auswärtssieg in Frankfurt wurde eine der unnötigsten Niederlagen aus dem Herbst kompensiert. Allerdings darf man keine zu großen Ansprüche an die Methode stellen.

Die Parallelen zum Auswärtssieg gegen Leverkusen sind augenfällig. Neuerlich ging es gegen eine Mannschaft, die nach einer englischen Woche angreifbar schien. Hertha griff allerdings zuerst einmal eine Halbzeit lang nicht an, sondern ließ sich von einer umsichtig pressenden Eintracht aus dem Spiel nehmen. Dazu präsentierten Leckie und Rekik dem Gegner zwei Großchancen - die ganze Partie war von Rutschgefahr geprägt, es rutschten aber fast nur Herthaner.

Das Gegentor fiel nicht, und nach der Pause begannen die Mittel zu wirken. Pal Dardai hatte vor dem Spiel von einer schnellen Mannschaft gesprochen, er hatte bei der Aufstellung auf Tempo wert gelegt, deswegen wohl auch Kalou auf der Bank gelassen. Von Duda bekam er aber zum Beispiel nichts in der gewollten Richtung. Von Davie Selke bekam er nach der Pause den gewünschten Effekt. Der Stürmer mit den langen Beinen (von Dardai extra erwähnt) holte sich im Strafraum einen umstrittenen Elfmeter.

Zwei Beobachtungen zu diesem Schlüsselmoment des Spiels. Selke war gestern das ganze Spiel hindurch eine Figur, die einen selbst Sandro Wagner wieder lieben lassen könnte. Er war fies und unangenehm, er fiel beim Elferfoul mit akrobatischem Pathos, er schoss den Elfer schlecht, traf aber trotzdem, und jubelte dann, als müsste er der ganzen Welt etwas zeigen. Ist wohl auch so, war auch wirkungsvoll, aber in Summe peinlich. Wenn das der Stil ist, auf den Hertha jetzt lossteuert, dann gibt es für uns keinen Grund, stolz zu sein.

Selke profitierte aber auch von einer schwachen Schiedsrichterleistung. Wobei da das VAR in Köln mitzuzählen ist. Dass man die Revision der Elfmeterentscheidung dem Schiedsrichter Stegemann überließ, ist Unsinn. Entweder es gibt in Köln Bilder, die das klarer entscheiden lassen, dann muss man das schnell kommunizieren, und den Referee auf dem Platz nimmt man damit aus der Kritik. Oder man schickt ihn zur Seitenlinie, wo er in so einem schwierigen Fall natürlich dazu neigen wird, nach Anhaltspunkten FÜR seine Entscheidung zu suchen. Das war für Hertha in diesem Fall gut. Für das VAR schlecht. Und damit für die Liga schlecht.

Das Foul von Selke später an Hasebe hätte er schon vor dem Ellbogenschlag des Japaners ahnden können, vor dem zweiten Tor gab es nicht genügend Kameras, um Leckies Position (mir kam vor: leicht im Abseits) zu erkennen, vor dem dritten Tor wurde ein Foul von Hertha nicht geahndet - da war Selke nicht mehr auf dem Platz, und Kalou zeigte Dardai, wie schnell er unter Umständen noch sein kann. Das war ein rarer Moment von Fußball in einem Spiel, von dem ein unbefangener Beobachter sicher nicht vermutet hätte, dass zum erweiterten Kampf um Europa gehörte. Es sah aus wie Abstiegskampf. Ich habe es allerdings nur im Fernsehen gesehen, es war wohl auch sehr heiß.

Punkte heiligen nicht alle Mittel. Hertha hat jetzt 18 in der Rückrunde, es könnten 25 oder sogar 27 werden. Das wäre natürlich toll. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass sich die Mannschaft für die restlichen drei Spiele noch etwas anderes vornimmt, als irgendwie mitzunehmen, was halt so auf dem Weg liegt. Ein wenig Fußballkultur, ein kleiner Beitrag zu einer Liga, die etwas anderes ist als der gestrige Abnützungskampf, wäre wunderbar. Es wäre auch ein Zeichen, dass die Betreuer begreifen, dass dieses Jahr nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Im Gegenteil: das war bisher ein statistisch halbwegs erfolgreiches, sportlich aber beschämendes Jahr.

Ich schreibe das jetzt bewusst noch einmal so hin, denn es könnte gut sein, dass Hertha aus dieser Saison noch ziemlich positiv hervorgeht. Und dann wird man die Umstände verdrängen. Im Idealfall gibt es am letzten Spieltag sogar noch so etwas wie ein Entscheidungsspiel - wenn schon nicht für Hertha, so doch gegen die Wettbewerbsverzerrer aus Leipzig. Hertha könnte gegen Augsburg, Hannover und RB ja noch versuchen, ein wenig Werbung für den (eigenen) Fußball zu machen.

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