Deine blauen Augen sind nicht mehr normal

Bei Hertha BSC macht sich eine neue Untugend bemerkbar: Naivität. Zwei Handelfmeter in zwei Spielen, verursacht jeweils durch einen der beiden Innenverteidiger, dazu ein erschreckendes Kontertor in Bilbao, das nicht nur die Chancen auf eine weitere Runde in der Europa League auf Null reduzierte, sondern auch wie eine Karikatur der allgemeineren Probleme in der Rückwärtsbewegung wirkte.

Die Niederlage in Bilbao war besonders bitter, wie immer, wenn eine Mannschaft eine Halbzeit lang dominiert, und dann in der zweiten das Spiel weitgehend einstellt. 45 Minuten lang passte fast alles: das Flügelspiel, die Flexibilität im Mittelfeld und in der Seitenverlagerung, selbst so ein Detail wie die Position von Leckie beim ersten Tor, der als nomineller Rechtsaußen in diesem Fall bei einer Flanke von links am kurzen Eck auftauchte.

In der zweiten Halbzeit wäre es entscheidend gewesen, Bilbao weiter zu verunsichern. Doch Hertha entschied sich für das Gegenteil. Wobei man nicht davon ausgehen kann, dass das Thema der Pausenansprache war. Vermutlich hatte sich die Mannschaft etwas anderes vorgenommen, aber sie kam nicht mehr ins Spiel.

Beide Elfmeter gegen Hertha hatten etwas Charakterisches: beim ersten kommt der Ball gefährlich in den Fünfmeterraum, vergleichbar dem Gegentreffer durch Svatok gegen Zorya Luhansk in Lviv, und Langkamp steht ungünstig. Beim zweiten verhält er sich wie ein Anfänger, macht aber im Grunde das Gleiche wie Rekik ein paar Tage davor gegen Gladbach.

Das Spiel gegen Köln am Sonntag ist jetzt schon mit ganz schön viel Bedeutung aufgeladen. Denn Hertha kriegt bisher einfach keine Richtung in die Saison (das janusköpfige Spiel in Bilbao war wie ein Sinnbild), und in der Summe weist die Richtung somit nach unten.

Dass nebenbei auf der Mitgliederversammlung ein Bilanzverlust von mehr als sieben Millionen Euro bekannt gegeben wurde (ein wenig aus heiterem Himmel und mit der etwas merkwürdigen Erklärung, dass die Europa League schon 2016/2017 Geld gekostet hätte - sieben Millionen Prämien?), passt da ganz gut ins Bild. Denn auch diese Nachricht wurde positiv verpackt - im neunstelligen Umsatzzahlen.

Die guten, sportlich allerdings nicht ganz gedeckten Platzierungen der letzten beiden Jahre spielen da natürlich eine Rolle. Aber dass Hertha selbst mit einer so vorsichtigen Transferpolitik schon wieder im Minus ist, wurde doch überraschend gleichgültig zur Kenntnis genommen, wie auch ein Gesamtstand bei den Verbindlichkeiten, der beinahe schon wieder so klingt, als hätte es die "Entschuldung" durch KKR nie gegeben.

Wie üblich hat Ingo Schiller das alles rhetorisch geschickt in Nebel und in die Ankündigung eines Rekordjahres verpackt - man sollte ihn in einem Jahr dann auch einmal beim Wort nehmen. Versprochen hat er ja, die Verluste der zwei vorangegangen Jahre in einem Jahr wettzumachen.

Die wirtschaftliche Situation hängt mit der sportlichen natürlich in mehrfacher Hinsicht zusammen. Vor allem wird es jetzt darauf ankommen, dass die "stillen Reserven" im Kader sich dauerhafter bemerkbar machen. Die Personalstruktur hat sich tatsächlich und offensichtlich geändert, in der ersten Halbzeit gegen Bilbao war das auch deutlich sichtbar, in der zweiten Halbzeit aber sind die "stillen Reserven" verstummt.

Hertha steht potentiell nicht schlecht da, bekommt die Potentialität aber derzeit nicht ausreichend auf den Platz, und vor allem nicht in die Ergebnisse. Das Spiel gegen Köln wird nicht zuletzt eine Frage der Professionalität - das wäre das Gegenteil jener Naivität, die wir in dieser Saison schon so oft beobachtet haben.

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