Der Alltag nach dem Allwissenden

Vier Punkte aus zwei Spielen gegen Konkurrenz aus den Top 6: Der Arsenal FC müsste eigentlich zufrieden sein mit den Ergebnissen seit Sonntag. Zuerst das massive 4:2 im Derby gegen Tottenham, und gestern dann bei unwirtlichen Bedingungen ein 2:2 in Old Trafford gegen Manchester United. Damit ist die Mannschaft von Unai Emery seit 20 Spielen (13 in der Premier League, fünf in der Europa League und zwei im EFL-Cup) ungeschlagen. Eine kleine Einschränkung bei den Meriten muss man allerdings machen: Manchester United ist derzeit nur dem Nimbus nach ein Top 6-Team, die Leistungen sind mittelmäßig.

Von Arsenal hingegen haben viele im ersten Jahr nach Arsene Wenger nicht viel erwartet. Das hat auch viel mit Manchester United zu tun, wo seit dem Abgang von Alex Ferguson 2013 nur ein zweiter Platz gelang, im Grunde aber immer noch Übergangsphase ist. Sie haben aber auch keinen guten Trainer: Jose Mourinho ist offensichtlich ein Auslaufmodell, der ja auch schon argumentiert wie der späte Arsene Wenger, also vorwiegend mit alten Verdiensten.

Unter Unai Emery hat sich Arsenal aber überraschend gut gefunden. Zu Beginn gab es zwei Niederlagen gegen Manchester City und Chelsea, seither war auch nicht alles eitel Wonne, aber gerade die letzten Wochen lassen zunehmend Muster und Qualitäten erkennen. Auffälligerweise vollzieht sich die Entwicklung neuerdings ohne Özil. Für den "Einfädler" ist zur Zeit kein Platz in einer Formation, die zumeist als 3-4-3 angelegt ist. Offiziell wurden zuletzt zweimal Rückenprobleme als Grund dafür genannt, dass Özil nicht einmal im Aufgebot war.

Dabei geht es in der Spielanlage unter Emery durchaus um Qualitäten à la Özil. Das Passspiel geht eindeutig in Richtung Spielkontrolle, es ist variantenreich und enthält viele Seitenverlagerungen, auch die hinteren Drei werden intensiv einbezogen. Es hat also nicht viel mit dem Mythos vom Kurzpassfußball zu tun, der Arsene Wenger so lange nachhing, sondern eher mit den Vorzügen einer kontrahierenden Formation. Dabei rücken die Außenspieler (derzeit vor allem Kolasinac, während Bellerin gestern in Old Trafford weniger aktiv war) sehr oft sehr weit vor, Läufe in die Tiefe gibt es sonder Zahl, und der hochinteressante Jungstar Guendouzi probiert - von etwas weiter hinten - den Özil-Stil.

Das Derby gegen Tottenham war englischer Fußball in Reinkultur: ein Spiel, wie es in dieser Intensität in Deutschland undenkbar ist. Da sind die Unterschiede zwischen den Ligen geradezu gigantisch, und wir können nur hoffen, dass die aktuellen Tendenzen in der Bundesliga (hin zu einer breiteren Spitze) längerfristig wirksam werden.

Aubameyang und Lacazette sind zwei Topstürmer, gerade weil ihre Positionen nicht hundertprozentig zusammenpassen. Wenn beide gemeinsam spielen, bekommt die Formation von Arsenal etwas "Unreines", und zwar im besten Sinn: dann spielt wirklich die ganze Mannschaft auf zwei unberechenbare Individualisten zu.

Die beiden Verletzungen von Holding und Ramsey gestern in Old Trafford, dazu die vielen gelben Karten lassen erkennen, dass es ein Abnützungsspiel war, drei Tage nach dem ekstatischen Heimsieg im Nordlondon-Derby. Und so wird es in England jetzt weitergehen bis nach Weihnachten. Da könnte sich dann doch zeigen, dass der Kader von Arsenal möglicherweise in der Tiefe nicht stark genug ist. Und selbst für Özil könnte es wieder etwas zu tun geben - allerdings spricht nun doch vieles dafür, dass er den luxuriösen Langzeitvertrag, den er heuer unterschrieben hat, nicht erfüllen wird.

Ob man sich hingegen mit Ramsey doch noch einmal zusammensetzen wird? Er ist seit vielen Jahren einer meiner Lieblingsspieler, man kann ihn sich schwerlich irgendwo anders vorstellen. Aber es scheint, als hätte Arsenal da die Tür definitiv zugemacht. Seltsam eigentlich.

Nun beginnt eine Serie von Spielen für Arsenal, in denen drei Punkte Pflicht sind - das waren unter Wenger die Spiele, in denen es immer wieder Enttäuschungen gab. Das wird auch unter Emery nicht anders sein, zu groß ist der Verschleiß in der Premier League in den Wochen vor Weihnachten. Zwei Tage vor Silvester steht dann das Auswärtsspiel in Anfield an - darauf läuft im Moment alles zu. Und man kann in jedem Fall schon einmal sagen: unter Emery ist Arsenal wieder Top 4-Kandidat. Und zwar nicht nur von den Punkten her. Arsenal ist - mit einem kleinen, aber spannenden Kader - wieder eines der interessantesten Teams der Liga: Mehr konnte man sich im ersten Halbjahr nach dem allwissenden Elsässer nicht wünschen.

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