Der Rasen des vorigen Tages

Eine Unbedachtheit von John Brooks hat das Heimspiel von Hertha BSC gegen den VfL Wolfsburg vor dem Gespenst eines torlosen Unentschiedens bewahrt. Die Szene fand direkt vor unseren Augen statt, wir ahnten es im Grunde schon, als Brooks mit langen Schritten an die Seitenlinie eilte, an der Vieirinha einen Ball erwartete. Wer so heranrauscht, ist nicht mehr Herr der Lage, den Ball bekam er nicht, stattdessen war Vieirinha plötzlich rechts allein durch. Auch seine Hereingabe hätte man dann noch besser verteidigen können, aber Weiser entschied sich dafür, Kruse in den Fünfmeterraum zu folgen, sodass Schäfer unbedrängt verwerten konnte.

Es dauerte zum Glück nicht lang, bis Hertha wieder gleichziehen konnte. Eine flache Hereingabe von Haraguchi von rechts, Casteels und Ibisevic prallen zusammen, wenn man es weniger neutral sehen will, dann säbelt Casteels den Mittelstürmer der Hertha um, der Ball gelangt im Sechzehner zu Kalou, und der momentan wichtigste Spieler bei Hertha erzielt den Ausgleich. Der in vielerlei Hinsicht inkonsequente Schiedsrichter Stegemann kommt auf die Szene mit Casteels nicht zurück, dabei hätte der Vorteil keineswegs die Sanktion des Fouls erledigen müssen. Das wäre allerdings eine rote Karte gewesen.

Das Publikum bezichtigte den Schiedsrichter mehrfach der Schiebung, was natürlich lächerlich ist. Aber es addiert sich eben so einiges im Lauf eines Spiels, und wenn zum Beispiel Naldo innerhalb weniger Minuten Plattenhardt und Weiser in aussichtsreicher Position von den Beinen holt, dafür aber nicht verwarnt wird, dann darf ein Spielleiter sich nicht wundern, wenn seine Entscheidungen von den Rängen aus lautstark kommentiert werden. Es waren aber ohnehin nur 40.000 da, und das hatte nichts damit zu tun, dass zwei Stunden vor dem Spiel der Tod von Umberto Eco bekannt wurde, sondern mit dem Gegner: Wer will schon den VfL Wolfsburg sehen?

Schon gar die Mannschaft, die gestern einen derart öden Auftritt zeigte, dass man sich wirklich fragen muss, mit welchem Recht man sich in der Autostadt für einen CL-Kandidaten hält. Ach ja, man spielt ja in diesem Wettbewerb, mit dem Kevin-de-Bruyne-Stipendium, das Julian Draxler im Olympiastadion doch deutlich überforderte.

Wie ging Hertha mit dem passiven Gegner um? Man könnte sagen: in gewohnter Manier, also geduldig und vorsichtig. Die erste Halbzeit sahen wir als ein Exempel für kontrollierte Offensive, alle Viertelstunde in etwa eine Chance, allerdings stellte sich auch das Problem der Verwertung. Hertha bleibt mit diesem Rhythmus übrigens hinter den Vorgaben des Trainers zurück: Hieß es nicht einmal, dass alle sieben Minuten eine Chance zu Buche stehen sollte?

In der zweiten Halbzeit hatte Wolfburg noch zwei Großchancen, ein Sieg wäre unverdient gewesen, aber so war das ja in den letzten Jahren mehrfach gewesen: Hertha nicht schlechter, aber doch immer unterlegen. Dieses Mal blieb es bei einem 1:1.

Damit steht Hertha nach fünf Spielen in der Rückrunde bei vier Punkten, aber mindestens bis heute Nachmittag auf Platz 3. Seltsam. Man kann die Situation drehen und wenden, sie gibt einiges her, vor allem, wenn man sie mit der Hinrunde vergleicht. Damals war alles noch viel unklarer. Nun hat Hertha gegen Augsburg den Hinrundensieg nicht bestätigen können, gegen Stuttgart egalisierte das Rückspiel das Hinspiel, das Match gegen Bremen endete in beiden Fällen remis. Gegen die beiden Spitzenclubs, gegen die es im Herbst noch Niederlagen gegeben hatte, hat Hertha jeweils remisiert, gegen Dortmund sogar mit leichten Vorteilen.

All das zeigt, was sich verändert hat. Hertha tritt gegen die Ligaelite nun tatsächlich auf Augenhöhe an, allerdings ist es eine bestimmte Gleichwertigkeit, nämlich eine, in die der frühere Außenseiterstatus noch stark imprägniert ist. Das zeigt sich daran, dass Pal Dardai häufig zum Ende eines Spiels hin deutliche Konzessionssignale aussendet: Ein Remis ist ihm derzeit jederzeit lieber als eine heroische Niederlage. Jetzt kommen allerdings die Spiele, in denen Hertha um den Anspruch auf einen Dreier nicht mehr herumkommen wird, es sei denn, es wird nun offiziell ein einstelliger Tabellenplatz als Saisonziel ausgegeben.

Damit wären wir aber, seien wir ehrlich, nicht einverstanden. Dieses Team hat es (sich) verdient, an den Ansprüchen gemessen zu werden, die es im alten Jahr gestellt hat. Das Thema der nächsten Wochen wird wohl die Durchschlagskraft werden: Kann Hertha auch auf Sieg spielen? Bisher waren die Siege meistens eher das Nebenprodukt einer gelungenen Spielkontrolle. Es gibt auch verschiedene Levels von Dominanz. Hertha arbeitet sich da ganz geduldig an den nächsten Schritt heran.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Michael Preetz mit seinem Tweet über den Rasen einen guten Treffer gelandet hat, dass Hertha aber weise wäre, sich nicht daran gebunden zu fühlen: Diese Mannschaft hat technisch mehr drauf, als sie derzeit auf das Grün bringen kann, weil dieses tatsächlich in einem erbärmlichen Zustand ist. Also: Ein Gag ist kein Dogma. Lasst die gute Arbeit Wurzeln schlagen.

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