Der Trostpreis für Platz 7 ist ein Atlas

Ein Rubik-Würfel ist Kinderspielzeug im Vergleich zu den Möglichkeiten, die diese Saison bietet, an ihr herumzuschrauben: sie ergibt immer neue Muster. Hertha BSC steht nach dem torlosen Remis in Mainz in der Abschlusstabelle auf Platz 7, in der Rückrundentabelle auf Platz 16 (!), dort beträgt allerdings der Abstand zwischen Platz 9 und Platz 17 ganze zwei (!!) Punkte. Man sieht also, was ein Sieg am letzten Spieltag alles bewirken hätte können.

Vor allem aber wäre damit die direkte Qualifikation für die Europa League gesichert gewesen. So aber warfen wir einander gestern am späten Nachmittag in den digitalen Netzwerken halb im Spaß die Namen der entferntesten Länder zu: Kasachstan. Aserbaidschan. Moldawien. Sie klangen wie Prügel zwischen den Füßen.

Vor elf Jahren spielte Hertha im letzten Spiel der Saison gegen Hannover zu Hause torlos. Damals ging es um die Teilnahme an der Champions League. Heute wundert mich, wie gelassen ich das damals verbucht habe, denn ich kann mich noch ungefähr erinnern, dass die Spannung im Stadion schon groß war, und auch der Frust, denn Hertha spielte schlecht.

Gestern in Mainz war Hertha nicht schlecht. Im Gegenteil war kein großer Unterschied zu erkennen zwischen der Mannschaft, die in der Rückrundentabelle auf Platz 5 abschließt, und der Mannschaft, die als der zweite große Verlierer der zweiten Halbserie gelten muss - neben dem VfB Stuttgart. Hertha ist der Verlierer unter den Gewinnern von 2015/2016. Eine eigentümliche Rolle, die umso stärker zu denken gibt, als es 2014 schon ein Vorspiel dazu gab. Im Vergleich dazu ging es 2016 aber deutlich besser aus. Hertha hat immerhin ein Millionenensemble wie den VfL Wolfsburg um fünf Punkte übertroffen, und mein privates Saisonziel wurde auch erfüllt: Augsburg wurde sogar um zwölf Punkte distanziert.

Nur ist das Augsburg dieser Saison eben Mainz 05. Und dem musste Hertha sich am letzten Tag geschlagen geben, weil es eines Sieges bedurft hätte, um den FSV noch zu überholen. Dieser Sieg wäre sogar möglich gewesen, Salomon Kalou vor allem hatte Chancen auf den entscheidenden Treffer. Aber er vergab sie. Hertha hat unterwegs auch die Effizienz verloren, aber das ist meist nur ein Folgeeffekt anderer Probleme.

Im Winter gab es kurz eine Diskussion darüber, ob die gute Hinrundenbilanz vor allem glücklichen Umständen zu verdanken gewesen wäre. Dem konnte man entgegenhalten, dass Hertha eben einen Ausnahmekönner in den Reihen hatte, der in der zweiten Saison sogar zu einem echten Faktor in der Mannschaft geworden war. Bis zur Länderspielpause im März war Salomon Kalou auf dem besten Weg, sich für den "man of the season" zu empfehlen. Danach war er nicht mehr ganz bei der Sache, er fand in diese Saison nicht mehr so richtig hinein.

Und einen Mann des Jahres wird man bei Hertha nun nicht ganz so leicht finden, denn die naheliegende Lösung ist nicht schmeichelhaft: vom Ende der Saison her gesehen fällt diese Rolle am ehesten nämlich Rune Jarstein zu, der mit seiner Ankerfunktion das Passspiel entscheidend geprägt hat, und der sich dann auch noch als Keeper mehrfach relevant auszeichnete. Der Vedator und der Mitch, zwei andere Kandidaten, fielen hingegen zum Ende hin nicht mehr so auf. Aber mit dieser müßigen, für Fans nichtsdestoweniger bedeutsamen Frage kann man sich einmal eigens beschäftigen.

Das Spiel gegen Mainz hatte beinahe den Charakter eines Pokalspiels. Es war viel offener, als man es in einer anderen Phase der Saison zu erwarten gehabt hätte. Hertha war dynamischer als in den meisten Spielen zuletzt, es fehlte nur an der Konzentration ganz vorn. Valentin Stocker, ausnahmsweise von Beginn an dabei, deutete an, dass er mehr Einsatzseiten durchaus verdient gehabt hätte, aber auch ihm gelang kein entscheidendes Manöver.

Zu dieser mysteriösen Erbsubstanz, die Fußballclubs im Lauf der Jahre ausprägen, hat der Hertha-Jahrgang 2015/2016 ein weiteres Stück beigetragen: Mit Big Points tut man sich schwer. Gestern wäre eine große Gelegenheit dafür gewesen, doch die Leistung gab nicht mehr her. Damit steht den Verantwortlichen ein interessanter Sommer bevor. Auch für die Saisonanalyse ist weniger Zeit. Einen Vorteil hat die Sache aber auch, wie gestern jemand gleich bemerkte: Hertha-Fan müssen nicht so lang auf das erste Pflichtspiel von 2016/17 warten. Wenn das mal nicht im Jahnsportpark stattfindet, weil der Gegner kaum bekannter ist als RW Erfurt.

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