Der Weltstar und die Vertrauensfrage

Mesut Özil hat dem Kicker ein Interview gegeben, in dem er sich einmal mehr als Musterprofi zeigt. Die kleine Kontroverse, die das Fachblatt aus Franken nebenbei um seinen Status als Weltklassespieler inszeniert hat, mit Lothar Matthäus als Advokat des Teufels, können wir getrost beiseite lassen. Mich interessiert natürlich in erster Linie, was Özil über seine Pläne verlauten lässt: Will er bei Arsenal verlängern?

Die Antwort hat es in sich. Sie enthält nämlich eine sogenannte Junktimierung. Özil kann sich vorstellen, auch nach der Sommerpause 2018 für Arsenal zu spielen. Allerdings unter einer Voraussetzung: dass Arsène Wenger auch dann noch sein Trainer ist. Dessen Vertrag läuft aber nur noch bis zum Ende dieser Saison, und der Elsässer ist narzisstisch genug, sich bisher nicht zu erklären. Die Führungsspitze bei Arsenal (soweit man von einer solchen sprechen kann) wartet ihrerseits ab.

Özil war es vermutlich nicht bewusst, dass er dem Verein, der ihn halten will, damit das ohnehin auch so schon kaum lösbare Dilemma vor Augen führt, das der langjährige Trainer verkörpert. Er ist ja längst mehr als das: eine Symbolfigur, ein Mythos, auf den zwar in der Regel nur noch mäßig informierte Fernsehkommentatoren etwas geben, aber eben auch jemand, von dem jemand wie Özil das "Vertrauen" bekommen kann, das er so braucht. Er braucht wohl auch, als Weltstar, eine große Persönlichkeit als Gegenüber.

Könnte Mesut Özil von außen auf den Fußball von Arsenal schauen, dann würde er alerdings vielleicht erkennen, dass die Probleme auch dieser Saison wieder sehr viel mit Wenger zu tun haben. Dass der längst mehr ist als ein Trainer, nämlich mehr eine Art Botschafter, hat ja auch eine Kehrseite: Ist er überhaupt in ausreichendem Maß ein Trainer? Also ein Übungsleiter, der Spieler individuell und in Formation besser macht, der eine Mannschaft auf Gegner einstellt, der situativ reagiert?

Man kann mit guten Gründen sagen: Das alles ist Arsène Wenger nicht, jedenfalls nicht in hinreichendem Maß. Zahlreiche Indizien aus der aktuellen Situation zeigen dies deutlich.

Da ist schon einmal seine Einkaufspolitik. Arsenal hat sich vor allem mit Shkodran Mustafi, Granit Xhaka und Lucas Perez verstärkt. Der deutsche Innenverteidiger gilt allgemein als guter Kauf, er hat aber meiner Einschätzung nach ungefähr die Qualität von Gabriel Paulista, ist also keine nennenswerte Verstärkung, sondern eher eine Absicherung auf mittlerem Niveau. Die Talente Holding und Chambers (den man eigentlich bereits abschreiben muss) bleiben auf Distanz zum Team.

Lucas Perez, der wohl vor allem wegen seines Torinstinkts geholt wurde, zeigt sich als mäßige Verstärkung, es fehlt ihm am Dynamik, auch wenn er immer wieder gute Szenen hat. Sie bleiben aber vereinzelt, zumal Wenger ihn erratisch einsetzt.

Das größte Defizit ist aber bei Granit Xhaka zu erkennen. Er sollte ja das jahrelange Manko im zentralen Mittelfeld beheben, wo in der nominellen ersten Elf der Platz hinter Aaron Ramsey vakant war - also eine 6 hinter einer 8. Wenger hat Xhaka aber von Beginn an unter Vorbehalt gestellt, hat fast immer Coquelin neben ihm spielen lassen, und bringt den Schweizer bis heute eher auf der 8, lässt ihn also, um es polemisch zu sagen, von einem eigenen Spieler manndecken. Xhaka wirkt einerseits verunsichert, andererseits auch naiv, seine Standards sind lamentabel, da hilft es kaum, dass er zuletzt mehrfach seine Ballverteilerqualitäten angedeutet hat. Mit Xhaka muss man arbeiten, aber so etwas kann Wenger eindeutig nicht.

Über die Jahre lassen sich die Probleme von Arsenal so deutlich erkennen, dass man sie fast schon mit einem Charakterprofil von Arsène Wenger verbinden kann: die Mannschaft ist in entscheidenden Situationen naiv, es fehlt ihr an alternativen Möglichkeiten, sie spielt seit Jahren das gleiche System (allerdings in diesem Jahr zu häufig ohne Mittelstürmer), kann immer öfter nicht einmal mehr ihre Ballbesitzphilosophie durchsetzen. Ich spreche natürlich von Problemen auf einem hohen Niveau, denn zur Spitzengruppe in der Premier League gehört Arsenal weiterhin. Allerdings ist die Gruppe inzwischen auf fünf oder sechs Mitglieder angewachsen.

Von einer Vertragsverlängerung von Mesut Özil (und Alexis Sanchez) hängt momentan im Grunde ab, ob Arsenal ein Weltclub bleiben kann und will. Für die Trainerfrage bedeutet das nichts Gutes. Ein Neuanfang ist schon lange mehr als überfällig, birgt aber eben enorme Risiken. Jemand wie Lucien Favre, an den ich gelegentlich dachte, wäre vielleicht der extremen Beanspruchung nicht gewachsen. Und das Naturtalent Jürgen Klopp ließ sich Arsenal entgehen.

Eine naheliegende Lösung für das Dilemma kann man wohl ausschließen. Arsène Wenger, der in jeder anderen Hinsicht außer der sportlichen nach wie vor der ideale Arsenal-Trainer ist, müsste seinen eigenen Nachfolger aufbauen. Das ist aber nicht in Sicht. Die Strukturen bei Arsenal, so weit sie von außen durchschaubar sind, sind monolithisch, und bei großen Egos sind konstruktive Lösungen selten.

So haben wir für das kommende Halbjahr eine sehr spannende Konstellation: Özil will Arsenal mit Wenger. Arsenal täte gut daran, endlich die Trainerfrage durch eine Ablöse zu klären. Wenger will niemand wissen lassen, was er will. Ein "recipe for desaster", würde ich meinen. Vielleicht wird Wenger aber auch noch zu einem Münchhausen, und verschafft sich einen starken Abgang. Mit oder ohne Titel, die Situation ist meiner Meinung nach vollkommen klar: Er muss weg. Nicht unbedingt aus dem Club, aber von der Mannschaft.

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