Der Name des Vereins, für den Änis Ben-Hatira derzeit spielt, ist passend: Hoffnung Tunis (Espérance Sportive de Tunis). Der gebürtige Berliner ist im Land seiner familiären Wurzeln angelangt, und bei einem Marktwert von 500.000 Euro. Das ist eine Summe, bei der man fragen könnte, ob da die politischen Umstände eingerechnet sind, die es mit sich gebracht haben, dass Ben-Hatira in Deutschland keinen Verein mehr finden dürfte.
Als Unterstützer der muslimischen Charity Ansaar International hat er sich dem Vorwurf ausgesetzt, sich nicht ausreichend und ausdrücklich von salafistischer Ideologie distanziert zu haben. Es war eine Menge öffentlicher Druck im Spiel, als sein Vertrag bei Darmstadt 98 zu Beginn dieses Jahres aufgelöst wurde.
Wie es ihm seither ergangen ist, das zeigt eine Reportage des SWR, die nun den ganzen November hindurch in der Mediathek von Arte abrufbar sein wird: Profi im Abseits. Offensichtlich konnten die Gestalter dieser Sendung ihn über einen längeren Zeitraum hinweg begleiten, es gibt Material aus Gaziantep, wo er eine Weile gespielt hat. Gaziantepspor ist inzwischen aus der SüperLig abgestiegen. 2015 war ich einmal in der Stadt, ein Spiel konnte ich damals nicht sehen, aber das Stadion habe ich fotografiert.
Die SWR-Reportage bemüht sich um Ausgewogenheit in einer diffizilen Angelegenheit. Denn man sollte doch unterscheiden zwischen der Tätigkeit von Ansaar International insgesamt und deren Politik (zum Beispiel den Predigern, mit denen man sich einlässt) und dem Engagement von Änis Ben-Hatira und seiner Motivation. Auch wenn er vermutlich mit den Leuten bei Ansaar auch persönlich gut bekannt ist, muss man davon ausgehen, dass er nicht im vollen Sinn überblickt, was diese Organisation macht. Das könnte für ihn auch Grund genug sein, sich (präventiv) vollständig von ihr zu distanzieren, dafür hat er aber offensichtlich bisher keinen Grund gesehen.
Was erfahren wir nun in diesem Film über Ansaar? Der Chef, der deutsche Konvertit Joel Kayser, ist bei einem Hilfseinsatz an der türkisch-syrischen Grenze zu sehen. Er weist darauf hin (und hat damit Recht), dass im sogenannten freien Syrien (ein Begriff, der in den Monaten, seit diese Szene gedreht worden sein muss, durch die Erfolge des Bündnisses Assad-Putin an Sinn verloren hat), die Unterscheidung zwischen Freiheitskämpfern gegen das Assad-Regime und islamistischen Bewegungen nicht mit der wünschenswerten Klarheit zu treffen ist. (Hier das Twitter-Profil eines exzellenten Kenners der Lage: Charles Lister.)
Interessanterweise zeigt der Film Ansaar in Suruc bei Hilfestellung für Kurden, die aus Syrien über die Grenze gekommen waren. Hier wären Nachfragen sinnvoll gewesen, denn dieser Umstand akzentuiert sowohl die Verbindung von Ansaar zu türkischen Autoritäten, als auch das Wohlfahrtsverständnis der Organisation, die behauptet, ihre Hilfe käme nicht nur Muslimen zugute. Die Kurden sind zwar Muslime, in der Türkei aber unterdrückt - die Szene wird nicht so ausgewertet, wie es sinnvoll gewesen wäre.
Die Reportage versucht, allen Seiten in der Angelegenheit gerecht zu werden, und das gelingt auch ganz gut. Allerdings ist genau das meiner Meinung auch der Nachteil bei diesem Format: man holt eben von verschiedenen Seiten Stimmen ein, und verlässt sich darauf, dass sich daraus ein Gesamteindruck entsteht.
Es ist ein Eindruck, der auf Schnipseln beruht. Was man mit Änis Ben-Hatira einmal machen müsste, wäre ein sorgfältiges, ausführliches, ungeschnittenes Interview, in dem man ihn zu seinem Verhältnis zum Islam, zu seinem daraus folgernden Verständnis von (Geo-)Politik und zu Deutschland befragt. Daraus könnte man eine Menge lernen. Bei Joel Kayser gilt natürlich das Gleiche, und auch Mesut Özil hätte sicher eine Menge zu sagen, aber der wird in dieser Angelegenheit offensichtlich besser beraten.
In Tunesien hat Änis Ben-Hatira, soweit ich sehe, bisher noch wenig Einsatzzeiten bekommen, und von seinem Ziel, 2018 bei der WM für Tunesien zu spielen, dürfte er weit entfernt sein. Dass er als Spieler, auch bei Hertha, nirgends wirklich und vor allem längerfristig überzeugen konnte, sehe ich latent auch als ein Symptom für seine zwiespältige Position: potentiell ein absoluter Sympathieträger, allerdings in einer Gesellschaft, in der mit seiner Religion von verschiedenen Seiten viel dubiose Politik gemacht wird (das gilt sicher auch für Ansaar).
Ich nehme es ihm absolut ab, dass er alles immer gut gemeint hat. Aber seine "Läuterungsgabe" (schon über die islamischen Begriffe Zakat und Sadaqua könnte man ihn eine Menge fragen) ist nun einmal nicht nur eine soziale Tat, sondern auch ein Zeichen. Und darüber hat er nur bedingt Kontrolle. Er zahlt nun auch den Preis dafür, dass ihm die perfekt durchkalkulierte Inszenierung einer öffentlichen Persönlichkeit nicht so wichtig war, vielleicht auch zu hoch. Er wollte wohl authentisch sein, und er ist es immer noch. Mögen zumindest seine sportlichen Hoffnungen sich erfüllen!
Hier ein gutes Weblog zu einschlägigen Fragen: Erasmus-Monitor
Kommentare
Kommentar von Harald Schuster |
Einen Kommentar schreiben