Die Macht der Gefühle

Mit einem 3:0 im Heimspiel gegen Bate Baryssau hat Arsenal gestern die Blamage aus dem Auswärtsspiel eine Woche davor korrigiert. Man musste das 0:1 in Minsk nicht besonders ernst nehmen, ein katastrophaler Platz ist in so einem Spiel häufig ein fast ebenso gewichtiger Gegner wie die Mannschaft, mit der man es zu tun bekommt.

Arsenal ist also in der Europa League eine Runde weiter, unter den letzten 16 gibt es auf jeden Fall eine Reihe von Titelkandidaten, für das Achtelfinale könnte es aber auch noch einmal eine "leichte" Aufgabe werden. Mein Wunschgegner wäre Slavia Prag. Da könnte ich sogar für wenig Geld hinfahren.

Man muss das Spiel gestern nicht groß analysieren, um zu bemerken, dass es spielerisch kein Meilenstein war: Zwei der drei Treffer fielen nach Eckbällen (Mustafi und Sokratis als Torschützen, das sagt schon eine Menge), der dritte war ein Eigentor, nach einer Hereingabe von Aubameyang, der nach rechts ausgewichen war.

Özil spielte auf der Zehn. Für den Regisseur musste Emery die Formation der letzten Wochen verändern. Er bot eine Viereroffensive auf, mit Mkhitaryan und Iwobi auf den Flügeln. Lacazette war gesperrt, damit erübrigte sich die Frage nach der Doppelspitze. Kolasinac bekam eine Pause, und damit auch die Fünferkette.

Das wären die Aspekte des Tages. Ein Text im Independent wirft aber eine grundsätzlichere Frage auf: Jonathan Liew diagnostiziert bei Arsenal 2019 ein Syndrom, das er aus der Psychologie entlehnt: Anhedonia. Wörtlich übersetzt könnte man sagen: Freudlosigkeit. Ein Unvermögen, irgendetwas tiefer (und schon gar nicht lustvoll) zu empfinden.

Da ist was dran. Und Mesut Özil ist vielleicht sogar das Sinnbild dafür, in seinem Bemühen, in ein Spiel zurückzufinden, von dem er nicht genau sagen kann, wo es inzwischen ist. Emery wiederum ist dazu gezwungen, ständig an der Formation zu basteln, jetzt ist Koscielny wieder verletzt, die Verteidigung laboriert an personellen wie an strukturellen Problemen.

Es gab in dieser Saison bisher im Grunde nur einen begeisternden Moment: das war das 4:2 gegen Tottenham. Das Rückspiel steht in einer Woche an, und dann gleich darauf auch noch das Heimspiel gegen Manchester United - beide Spiele sind für das Rennen um Platz 4 entscheidend, wobei Arsenal aber dann auch gegen Southampton oder Newcastle die "eingeplanten" Punkte holen muss.

Die Teilnahme an der Champions League wäre sicher ein Argument bei Transfers im Sommer. Doch selbst wenn Arsenal sich qualifizieren sollte, ist Konkurrenzfähigkeit im wichtigsten europäischen Bewerb nicht von selbst gewährleistet. Arsenal bietet derzeit das Bild eines Clubs, der alle Verantwortung seinem Trainer auflädt: die amerikanischen Besitzer, der neue Finanzdirektor, die sportliche Leitung durch Raul Sanllehi erwecken weniger den Eindruck, dass sie Emery in Ruhe arbeiten lassen wollen, als dass sie sich hinter ihm verstecken.

Der Spanier nimmt die Herausforderung an. Er coacht nicht nur aktiv, er agiert auch bewusst für die Kameras. Gestern zog er richtiggehend eine Show ab. Er steht eben ganz allein in der Auslage bei einem Club, bei dem vielleicht nicht Freudlosigkeit, aber doch eine merkwürdige Diskretion herrscht. Vielleicht ist das aber auch ganz bezeichnend, wenn man im Grunde nicht viel mehr als ein Randposten im Portfolio eines Mannes ist, der mit den amerikanischen Sportarten viel mehr anfangen kann.

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