Die Suche nach dem Unterschied

Wie sich ein Spiel so verändern kann im Lauf von 90 Minuten! Hertha sah gestern eine halbe Stunde lang wie ein sicherer Sieger aus, dann kam eine Flanke in den Strafraum, Thomas Kraft begriff, dass er sie nicht erreichen konnte, Fabian Lustenberger konnte Ujah nicht an der Verwertung hindern. Es war eine schwierig zu verteidigende Situation, aber auch eine, in der so etwas wie "Wille" oder "desire" eine Rolle spielten. Das war auch schon kurz nach Beginn so gewesen, als Valentin Stocker einen abgeprallten Schuss von Jens Hegeler zum Führungstreffer für Hertha verwandelt hatte. Ein satter Schuss unter die Latte, mit der Technik, die Stocker mehr als fast alle anderen diesjährigen Herthaner aufbringt.

Der Ausgleich veränderte den Charakter des Spiels vollkommen. Davor sah das fast wie eine Übungseinheit für Hertha aus, gegen einen passabel die Räume klein arbeitenden Gegner sich Möglichkeiten zu verschaffen, was mit Haraguchi über rechts teilweise ganz gut gelang. Nach dem Ausgleich gab es dann zwar auch noch die eine oder andere Phase intensiverer Bemühung, auch von Bremen, aber zunehmend wurde das Spiel zu einem Duell zwischen Solidität und Harmlosigkeit. Und wenn es nicht spät noch zwei sehr prekäre Momente gegeben hätte, in denen Hertha Glück hatte, weil Bremen zweimal Aluminium traf (einmal war es genau genommen Langkamp), hätte man auch nach einer halben Stunde aufhören können.

Es war eine Lektion über die heikle Balance zwischen Wagnis und Vorsicht, die bei Hertha naturgemäß nach den letzten eineinhalb Jahren angebracht ist. Je länger das Spiel dauerte, desto wertvoller schien der Punkt. Dazu kam, dass auch individuell das Engagement nachließ. Markant einmal mehr eine Szene, in der Kalou allein auf Wiedwald zulief. Die Situation sah wenig aussichtsreich aus, allerdings gibt es Stürmer, und zwar gerade Weltklasseleute wie Luis Suarez, die in so einem Moment auf die fünf Prozent spekulieren, dass etwas anders laufen könnte als absehbar. Kalou aber brach ab, wie er das meistens tut.

Dass das Spiel letztlich ein wenig unbefriedigend endete, hatte keineswegs mit ihm allein zu tun. Die ganze Mannschaft hatte nach hinten heraus nicht mehr den Punch, den man sich als Konsequenz der speziellen Relativitätstheorie des Pal Dardai hätte erhoffen können: Im Frühjahr hatte er ja noch mehrfach darauf hingewiesen, dass in den letzten zwanzig Minuten der Platz größer wird, was für die fittere Mannschaft zusätzliche Möglichkeiten ergibt.

Momentan ist davon wenig zu sehen, auch wenn Mitchell Weiser bei seinem Heimdebüt im Olympiastadion (er kam in der Schlussviertelstunde für Hegeler) andeutete, dass er auf die Rolle des Zauberlehrlings aspiriert. Einige kleine Feinheiten machen aber noch keine Torchance, vor allem, wenn sie auf dem Flügel stattfinden, weit weg von der Box, in der es heiß wird.

Es war schließlich ein klassisches Ligaduell zwischen sehr ähnlichen Ansätzen, da machte die berühmte Bremer Raute kaum einen Unterschied. Es war nicht so fies wie das vergleichbare Spiel gegen Augsburg, aber es war ähnlich arm an Raum, wobei sich Hertha fast noch weiter zurückzog - angelaufen wurde erst ab der Mittellinie.

Die Mannschaft macht in dieser frühen Phase der Saison den Eindruck einer großen Homogenität, was auch auf ein Defizit verweist: Die Spieler sind alle sehr ähnlichen Typs, tendenziell einmal eher Positionsverwalter als kühne Interpreten einer Rolle. Jeder macht sein Ding, das läuft phasenweise gar nicht schlecht zusammen, aber niemand bringt eine Steigerung der Intensität, sieht man einmal von ein paar Momenten von Haraguchi ab, und von Weisers Gewusel. Eine grundsolide Mannschaft deutet sich da an, die unter Umständen sogar den Funken in sich selbst entdecken kann, dazu wird sie aber vermutlich erst das Punktekonto ein wenig füllen müssen.

Immerhin gibt es nun schon ein paar Optionen, denn Haraguchi könnte im Team bleiben, Weiser drängt sich auf, vielleicht sollte man Stocker doch wieder ins Zentrum rücken. Eine ganze Hinrunde nur auf Kalou im Sturmzentrum zu vertrauen, wäre vermutlich naiv. Es ist zweifellos die Schlüsselpersonalie, für die Michael Preetz in der kommenden Woche eine Lösung finden muss.

Denn sie wird sich entscheidend auf die Balance der Mannschaft auswirken. Ujah hat kein großes Spiel gemacht, er ist wohl auch viel weniger talentiert als Kalou, und doch war sein Einfluss größer. Darauf wird es in den kommenden Wochen bei Hertha ankommen: die ordentlichen Grundlagen, die deutlich zu sehen sind, durch das zu ergänzen, was zählt: besondere Momente, Chancen, Tore. Die fünf Prozent machen den Unterschied, nicht die 95 Prozent, die gut aussehen, aber nur Routine sind.

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