Die Tiefe der Bodenlosigkeit

Wie schon gegen Gladbach vor zwei Wochen gab es am Sonntag im Olympiastadion gegen Eintracht Frankfurt zwei Spiele in einem zu sehen (ich war aus beruflichen Gründen unterwegs und musste mich per Stream zuschalten): Eine knappe halbe Stunde wurde Fußball gespielt, danach gab es noch eine Stunde Gemurkse. Den Unterschied machte unter anderem der Platz. Pal Dardai nannte nach dem Spiel sogar eine genaue Zeitangabe: der winterlich beeinträchtigte Rasen reichte für zwanzig Minuten. Dieses Spiel gewann Hertha mit 1:0, das andere verlor sie mit 0:2, macht in Summe eine Heimniederlage mit 1:2.

Der Trainer reagierte, indem er das Saisonziel revidierte: Drei, vier Punkte möchte er noch aus drei Spielen gegen Augsburg, Hannover und Leipzig. Übersetzt bedeutet das: alles, was nicht direkter Abstiegskampf ist, geht in Ordnung. Nach Augsburg fährt Hertha im Grunde als Außenseiter, denn dort findet tatsächlich "Ausbildung" statt, dort entwickelt sich eine Mannschaft, während in Berlin nach dem Frankfurt-Spiel nicht einmal mehr die üblichen Floskeln zu hören waren. Die Niederlage war einfach zu demütigend, weil einmal mehr unnötig und doch folgerichtig. So gehen auch irgendwann die Aushilfserzählungen aus.

Das erste Spiel lief gut, dauerte aber nicht lange genug. Die aktuelle Königsidee mit der Doppelspitze Ibisevic und Selke, die von links mit Flanken und von der technisch wie taktisch ein wenig versierteren rechten Seite mit Lochpässen und Durchsteckern bedient wird, erwies sich als brauchbar. Selke traf nach Vorarbeit von Leckie, Ibisevic hatte auch Chancen.

Nach einer halben Stunde gab es einen Ausgleich, den man zu diesem Zeitpunkt noch als "gegen den Spielverlauf" (nicht aber gegen den blauweißen Saisontrend grassierender Blauäugigkeit) etikettieren konnte. Danach gab es aber auch keinen Spielverlauf mehr. Die zweite Halbzeit war zum Vergessen. Die Spieler suchten auf dem tiefen Boden nach einem Ball, der ihnen nicht in die eleganten Manöver folgen wollte, mit denen Hertha den Schlüssel zu dem nun mühsamen Spiel suchte. Eleganz, die im Ansatz stecken bleibt, wirkt aber oft umso unbeholfener.

Der Trainer reagierte nach einer Stunde, indem er die Nachwuchsspieler Maier und Mittelstaedt durch Lustenberger und Lazaro ersetzte. Gerade an Arne Maier kann man ganz gut sehen, wie nivellierend die Mannschaft insgesamt zu wirken scheint. Er wurde innerhalb weniger Wochen von einem auffälligen Talent zu einem fehleranfälligen Routinier und ist derzeit von Skjelbred nicht mehr so deutlich zu unterscheiden, wie es wünschenswert wäre.

Natürlich ist es nicht angebracht, dass Pal Dardai öffentlich sieben Punkte aus den letzten drei Spielen der Hinrunde erwartet. Aber intern muss das der Anspruch sein, denn bisher ist die Saison eine große Enttäuschung. Man gewinnt aber ein wenig den Eindruck, dass die Verantwortlichen nun vor allem auf eine zweite Saisonvorbereitung nach Weihnachten und einen Neustart in der Rückrunde setzen. Befreit von den zusätzlichen Belastungen, um die man nie wirklich gekämpft hat, und die man nun auch endlich wieder los ist.

Stand der Dinge ist jedenfalls, dass man gegen Gegner wie Augsburg und Hannover derzeit kein gutes Gefühl hat, weil Hertha vor allem eines nicht ist: in irgendeiner Form gefestigt. Mit Widerständen (tiefer Boden, unklare Schiedsrichterleistungen, clevere und aufsässige Gegner) kann die Mannschaft nicht umgehen, geschweige denn, dass sie einmal auch ein Zeichen gegen den Trend setzt. Das sind alles langfristige Tendenzen, an denen Pal Dardai letztendlich vor allem zu messen ist. Und da sieht seine Bilanz nur dann akzeptabel aus, wenn man die Ansprüche sukzessive reduziert - wie es in dieser Hinrunde gar nicht klammheimlich geschehen ist.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Vier Punkte als Ziel aus den letzten drei Spielen sind eine Vorgabe an ein letztes Aufgebot. Hertha hat aber bis auf Darida den gesamten Kader mit allen "stillen Reserven" zur Verfügung, und müsste nun, um nicht zu einer der negativen Erzählungen dieses Halbjahres zu werden, zumindest intern nach einer Taktik und einem Schlüssel suchen, um in Augsburg für eine Überraschung zu sorgen. Das de facto Testspiel gegen Östersund stört da natürlich, aber nachdem Hertha schon das ganze halbe Jahr hindurch drei Bewerbe nie so richtig angenommen hat, wird sich dafür schon genügend Personal finden, um daneben eine volle Trainingswoche mit präziser Vorbereitung auf das nächste Ligaspiel zu ermöglichen.

Das Wort Krise hat Pal Dardai gerade mal so wieder aus dem Verkehr gebracht im November, aber de facto hat Hertha schon seit ziemlich langer Zeit eine besonders gefährliche Krise: eine schleichende, oft wieder wegdiskutierbare Krise, die aber doch sehr deutlich ist. Es ist mehr als unklar, ob Pal Dardai der Trainer ist, mit dem Hertha nach inzwischen auch schon wieder nicht wenigen "Übergangsjahren" und neuerdings als "Ausbildungsverein" belastbare Schritte nach vorn machen kann. 21 Punkte nach 17 Spielen (wenn sie denn überhaupt erreicht werden) wären jedenfalls auch statistisch ein Rückschritt, und eine stramme Vorgabe für das nächste Halbjahr. Leider wirkt die Mannschaft nicht so, als würde sie an Aufgaben wachsen.

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