Die Ergebnisse vom Samstag haben gezeigt, wie wichtig der Dreier war, der Hertha am Freitag in Hamburg gelang. Ich war Samstagvormittag mit dem Zug von Frankfurt nach Berlin unterwegs, sah da und dort Fans, die sich auf den Anstoß vorbereiteten (teils schon um 9 Uhr früh), und es ist ein sehr gutes Gefühl, zu diesem Zeitpunkt das Soll der präferierten Mannschaft schon erfüllt zu wissen. Die Abstiegszone gleicht in diesem Jahr mehr denn je einer dieser Druckkammern, die sich ganz langsam der Wasseroberfläche nähern, und jede zu schnelle Bewegung führt zu Ohnmacht und Lebensgefahr.
Dieses Bild, wenn es denn passend ist, wurde von einer Unterscheidung inspiriert, die Coach Pal nach dem Spiel traf: "Der obere Druck ist viel einfacher", sagte er, und meinte damit, dass es für Spieler schwieriger ist, mit dem "unteren Druck" umzugehen, mit dem, der entsteht, wenn es um den Verbleib in der ersten Liga geht. Ist auch unmittelbar einleuchtender: der "untere Druck" ist bedrückend, der obere Druck kann befreiend sein.
Hertha hat mit dem 1:0 den HSV unter Druck gesetzt, und sich selbst ein bisschen Luft verschafft. Das Tor fiel, wie schon beim Sieg gegen Augsburg, spät, aber es war bis zu einem gewissen Grad verdient. Konkret erwies sich dabei auch eine alte Weisheit: Es ist essenziell, dass eine Mannschaft jemand hat, der zumindest ein paar Mal pro Spiel einen ruhenden Ball konzentriert vor das gegnerische Tor bringt. Marvin Plattenhardt ist seit einiger Zeit bei Hertha für die Standards zuständig, er hat sich allmählich an diesen sehr guten Freistoß herangearbeitet, den er in der 84. Minute trat.
Langkamp verwertete per Kopf, und es gab dabei noch die periphere Befriedigung, dass ausgerechnet der unangenehme Behrami dabei das Nachsehen hatte. Davor und danach hatte Stieber für den HSV ähnliche Gelegenheiten mit einem ruhenden Ball, es gelang ihm dabei ungefähr das, was Ronny zuletzt so zuwegegebracht hatte. Der hat seine Ausmusterung ja nicht nur seinem ungenügenden Spiel zu verdanken, sondern auch dem Umstand, dass nicht einmal mehr seine gefährlichste Waffe zuletzt noch jemand nervös gemacht hatte.
Gegen Schalke hatte Hertha ganz spät noch einmal einen Rückschlag hinnehmen müssen, dieses Mal sorgte Hegeler in Koproduktion mit Plattenhardt mit ein paar komischen Intermezzen an der Eckfahne dafür, dass beim HSV die Nerven blank lagen, und dass Coach Pal von der Sky-Regie dabei erwischt werden konnte, wie er kurz einmal so richtig breit grinsen musste. Die Fernsehmacher hatten zwischendurch immer wieder auf die beiden Trainer geschnitten, zwei von der Sorte, die sich zumeist an der zentraleren Ecke der Coaching-Zone aufhalten. Dardai kann ganz schön wild schauen, Zinnbauer aber wirkt im Grunde immer wie ein Schauspieler, der eine Trainer-Show abzuziehen versucht.
Ganz ohne Zweifel hat Hertha zumindest für den Augenblick den Vorteil eines sehr authentischen Betreuers, den auch die vorläufige Bilanz verschmitzt strahlen lässt: nun vier Spiele ohne Niederlage, acht Punkte, und im Druckluftkammerpulk in einer Spitzenposition. In zwei Wochen gibt es bei einem Sonntagsspiel gegen Paderborn vor eigenem Publikum die Möglichkeit, den unteren Druck in mittleren Druck zu verwandeln.
An den "Wallungen des ungarischen Bluts", von denen der gewohnt schwer zu ertragende Fritz von Thurn und Taxis hartnäckig sprach (in welcher Zeit lebt dieser Mann eigentlich?), wird das nicht viel ändern, denn in Hamburg war auch zu sehen, dass Hertha viel Arbeit vor sich hat. Die Mannschaft steht erst ganz am Anfang, wenn man denn das bloße Bestehen des Abstiegskampfs schon jetzt ein wenig vorwitzig mit einem allgemeineren Entwicklungsprojekt verbinden möchte: Die spielerischen Ansätze sind karg, sie sind in dieser generell destruktiven Liga auch nur sehr mühsam zu entfalten.
Ob Dardai und Widmayer das Zeug haben, ein Hertha-Team zu bauen, das irgendwann wieder einmal selbstbewusst und selbstverständlich den "ganzen" Fußball beherscht, wie das in Tagen von Marcelinho, Bastürk und Dick van Burik noch ganz klar schien, ist möglicherweise nicht einmal die richtige Frage. Denn anscheinend entwickelt sich der Sport als solcher in eine Richtung, in der nur noch außergewöhnlichen Teams diese Klarheit einer integrierten Konzeption möglich ist. Alle anderen (siehe auch Atlético-Bayer 04 vergangene Woche) suchen nach dem schmalen Grat, auf dem sich in einer Atmosphäre hochverdichteter Spielverhinderung so etwas wie ein Spiel aufziehen lässt. Umso wichtiger ist der ruhende Ball. Marvin Plattenhardt hat ihn hingelegt, dann hat er sich konzentriert, dann hat er ihn auf den Weg gebracht.
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Kommentar von valdano |
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