Ein Kader ist nicht immer ein Gefüge

Das Debakel des Arsenal FC am Sonntagnachmittag in Liverpool ließ an Deutlichkeit spielerisch noch viel weniger zu wünschen übrig als vom Ergebnis her. Es gab ein Gefälle zwischen den beiden Mannschaften, das sich sicher taktisch aufdröseln lässt, und das auch mit mentalen Faktoren zu tun hat. In erster Linie aber hat das dritte Saisonspiel in der Premier League den Fans von Arsenal gezeigt, dass das kleine Comeback, das zum Ende der vergangenen Saison hin immerhin den fünften Platz in der Liga und einen FA-Cup-Titel, vor allem aber die Vertragsverlängerung für Arsene Wenger mit sich brachte, trügerisch war - für die, die sich in Sicherheit wiegen wollten.

Der Auftritt in Anfield ließ vor allem erkennen, dass Arsenal nun endgültig über einen Kader verfügt, dem es in jeder Hinsicht an Perspektive mangelt. Damit meine ich nicht die individuelle sportliche Perspektive, sondern das innere Momentum, das so einer Gruppe innewohnt.

Arsene Wengers Karriere bei Arsenal lässt sich ja inwischen recht deutlich in drei Phasen einteilen. Die erste endete 2004 mit dem Titel der Invincibles, wenn man noch genauer datieren würde, dann endete sie mit der ersten Niederlage nach dieser Serie - einem berüchtigten Spiel in Old Trafford.

Die zweite Phase dauerte vielleicht bis gestern, für meine Begriffe endete sie allerdings schon vor ungefähr einem Jahr. Es war die Zeit, in der die Teams von Arsene Wenger immer gerade nur um ein entscheidendes Detail zu wenig durchdacht schienen, um wirklich prägend sein und vor allem auch gegen große Mannschaften definitiv auftreten zu können. Die Details waren unterschiedlichster Art, aber man hatte sich im Grunde schon an den schönen Mythos gewöhnt, dass Arsenal knapp dran ist - und dass irgendwann einmal der Knopf aufgehen würde. Auch dem Trainer, der seine einmalige Machtfülle offensichtlich für ein seltsames Laissez-faire nützte, das ihm Kredit von Spielern wie Mesut Özil eintrug, die Mannschaft aber immer öfter arm aussehen ließ.

Am Sonntag stand aber eine Mannschaft auf dem Platz, die nicht einmal mehr in Ansätzen als eine potentiell große gesehen werden kann. Das hat damit zu tun, dass die Skepsis, von der Arsenal umgeben ist, inzwischen so groß ist, dass es offensichtlich auf einzelne Leistungen durchschlägt.

Das konnte man am besten bei den beiden Spielern sehen, die am deutlichsten die späte Wenger-Innovation vertraten, die angeblich so mutige Umstellung auf Dreier/Fünferkette, die sich gegen Liverpool als absoluter Missgriff erwies. Sicher auch aus Gründen, die mit der individuellen Motivation von Bellerin (kam in der ersten Halbzeit über links) und Oxlade-Chamberlain (ließ in der ersten Halbzeit rechts das Spiel an sich vorbeisausen) zu tun haben. Aber auch aus taktischen: die mangelnde Abstimmung zwischen dem zentralen Trio und den beiden Außenspielern öffnete Liverpool von Beginn an Möglichkeit um Möglichkeit, sich mit einfachen Doppelpässen gefährlich in Szene zu setzen.

Vorne spielten mit Özil und Sanchez zwei Weltstars, von denen völlig unklar ist, wie man sie in die schwierige Mission integrieren soll, die Arsenal heuer bevorsteht: noch einmal ein Jahr mit dem endlosen Klickspiel Wenger In/Out, während sich rundherum der Fußball weiterentwickelt, während Arsenal schon jetzt nicht mehr weiß, wie der teuerste Neuzugang dieser Saison - Lacazette - am besten einzusetzen ist.

Das gilt nach wie vor auch für den teuersten Neuzugang aus dem Vorjahr, für Granit Xhaka, der weit von einer Form entfernt ist, in der man ihn auf der Position des Sechsers unbesehen agieren lassen würde. Unter Wenger ist schon lange kein Spieler mehr besser geworden, inzwischen muss man sein Projekt als eine große Talentevernichtung sehen. Kein Wunder, dass so viele Spieler von Gerüchten um Wechselwünsche umgeben sind. Und die, die es nicht sind, müssen sich sowieso blöd vorkommen.

Für den FC Chelsea war eine Niederlage bei Arsenal in der frühen Phase der Saison im Vorjahr ein Initialerlebnis, auf das der Trainer Antonio Conte mit einer Systemumstellung reagierte, die in einem schwachen Ligajahrgang zu einem souveränen Meistertitel reichte. Arsenal hat diese Umstellung spät in der Saison abgekupfert, und auch noch ein bisschen was daraus gemacht.

Im Grunde müsste Arsenal nun ähnlich auf das Spiel von gestern reagieren wie Chelsea im Vorjahr. Aber die taktischen Karten sind gespielt, es geht darum, das vorhandene Personal (dazu wissen wir am Donnerstag mehr) auf eine Idee zu verpflichten, die weit über die Formationsfrage hinaus geht: auf eine Struktur, die etwas von der großen Freiheit bewahrt, die einmal das Markenzeichen von Wenger war, die aber zugleich den Anforderungen an Zusammenhalt (Kohäsion) genügt, die aus einer Elfergruppe erst eine Mannschaft macht. Ich kann nicht erkennen, wie das in der vorhandenen Konstellation (ein angezählter und schon lange offensichtlich ratloser Trainer und viele Schlüsselspieler mit individuellen Problemen) gelingen soll.

Das Drama geht vorerst weiter. Das Schlimmste wäre, wenn es eine weitere Saison lang gerade so undramatisch verliefe, dass man es gerade noch ertragen kann. Aber das ist nun einmal die Natur des Fußballs: es geht meistens irgendwie auf und ab, dabei liegt meistens auch offen zutage, in welche Richtung die Entwicklung geht. Offener als bei Arsenal schon seit geraumer Zeit allerdings selten.

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