Einigkeit und Recht und Allah

Die BILD kommt in meinem Leben normalerweise nicht vor. Ich schaue allenfalls gelegentlich hinein, wenn jemand im Zug ein Exemplar liegenlässt. So kam ich neulich zu einer Kolumne von Alfred Draxler. Es war einer dieser abscheulichen Texte, in denen jemand ein dumpfes Gefühl scharf zu machen versucht. Draxler ereiferte sich über Mesut Özil, weil der zu seinem Wahlkampffoto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan nichts weiter sagen will. Özil soll erst dann wieder in der deutschen Nationalelf spielen dürfen, wenn er - diese Zuspitzung von mir hat der Söder provoziert - zu Kreuze gekrochen kommt.

Natürlich wäre es auch aus meiner Sicht besser gewesen, wenn Özil sich nicht für den Fototermin hergegeben hätte. Zumal er ja in Kommunikationsangelegenheiten ziemlich gut beraten wird, sodass zu befürchten steht, dass dahinter auch ein simples Mehrheitskalkül stand: Vergrößerung der Reichweite durch einen Schulterschluss mit dem mutmaßlichen künftigen Regionaldespoten.

Zugleich darf man aber nicht vergessen, dass Mesut Özil viele Rollen zugleich spielt: er ist ein deutscher Nationalspieler, der dies aber nur wurde, nachdem er lange Zeit ein "türkisch-deutsches Streitobjekt" war (so lautet eine Kapitelüberschrift in seinem Buch Die Magie des Spiels, das ich aus gegebenem Anlass jetzt gelesen habe). Und er ist ein globaler Superstar, der passenderweise einen Lebensmittelpunkt schon lange in London hat, der einzigen wirklichen Weltstadt in Europa.

Fast könnte man dabei an eine Verschiebung des Ressentiments denken: diejenigen, die ihn jetzt dafür beschimpfen, dass er den Türken in sich nicht amputiert hat (bei dem Erdogan-Termin müsste man psychologisch wohl auch seine komplizierte Vatergeschichte mitdenken, die Özil in dem Buch andeutet), hassen ihn in Wahrheit dafür, dass er nicht nur der Türkei, sondern auch Deutschland längst entwachsen ist.

Fußball spielt er aber in konkreten Mannschaften. Bei Arsenal, einem Premier-League-Club, damit in einer Weltauswahl, und für Deutschland, das Land, für das er seinen türkischen Pass zurückgab, was in seinem Buch ausführlich erzählt wird, weil es nur gegen den Widerstand der türkischen Behörden möglich war. Özil wird häufig dafür gescholten, dass er bei der Hymne nicht mitsingt. Dabei wird selten bedacht, dass sein Schweigen noch viel provozierender ist: er betet nämlich zu Allah, während die Kollegen "Einigkeit und Recht und Freiheit" beschwören. Einen deutlicheren Beweis dafür, dass der Islam zu Deutschland gehört, gibt es nicht. Deswegen ist Özil sogar das idealere Hassobjekt für die Nationalisten als Gündogan.

Die Sache hat noch eine weitere bittere Ironie: Viele von denen, die Özil wegen seiner Unterstützung des Autokraten Erdogan kritisieren, würden eine ähnliche Wahlkampfhilfe für den russischen Machthaber Putin keineswegs anstößig finden. Es macht in dieser Logik eben einen Unterschied, ob einer sich im Orient und als Muslim über das Recht stellt, oder im Abendland und als (wenn auch orthodoxer) Christ - den Putin sowieso nur spielt, und zwar mit unübersehbarem Zynismus.

Für Özil entscheidet sich in diesem Sommer sehr viel: bei Arsenal hat er ab Juli endlich wieder einen Trainer (nach drei Jahren unter Wenger, in denen die Mannschaft mehr oder weniger sich selbst überlassen war), und bei der Nationalmannschaft wird viel davon abhängen, ob Joachim Löw ihn heute in die erste Elf stellt.

In dem Buch wird ziemlich gut deutlich, dass der hochinteressante und von Kränkungen nicht freie Entwicklungsroman von Mesut Özil zu einer Abkapselung geführt hat. Er wird alles tun, um auch weiterhin die Blase zu verteidigen, die er sich geschaffen hat, und aus der manchmal Botschaften kommen, die fast schon intergalaktisch wirken, wie das Bild aus Mekka, das ihn im Pilgergewand gezeigt hat.

Sportlich wie menschlich gibt es derzeit wenige Geschichten im Fußball, die ich spannender finde. Özil könnte als Fußballer noch zwei, drei große Jahre vor sich haben, und sich damit zugleich die Freiheit erarbeiten, seine einzigartige Position allmählich mit mehr Leben zu füllen als mit dem faden Kinderhumanismus, den ihm seine Leute derzeit in die Tweets füllen. Ob er eines Tages als vollkommen leere globale Supermarke oder als große Integrationspersönlichkeit endet, hängt auch davon ab, wie sehr es den deutschen Kleingeistern in diesem Sommer gelingt, ihn festzunageln: auf einen Moment, in dem er wohl zugleich ein kleiner Junge aus einer Großfamilie aus der Gegend um Zonguldak und ein Premier-League-Star mit einer digitalen Weltgemeinde war. Mit beiden Identitäten ist er zugleich auch deutscher Nationalspieler. Wer das nicht aushält, mag zum Pfeifen in den Wald gehen.

Mesut Özil (mit Kai Psotta): Die Magie des Spiels, Bastei Lübbe 2017

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