von Marxelinho

Elf Doppelrollen

Stille Genugtuung oder laute Begeisterung? Vom Typ her neige ich eher zu der ersteren Reaktion, und so habe ich mich gestern Abend dann einfach ein paar Stunden quasi in mich hinein gefreut über das 2:0 in Gelsenkirchen - ein Ergebnis und eine Leistung, auf die Hertha stolz sein kann, auch wenn sie in der Berichterstattung zumindest auf Sky schon wieder von dieser typischen Verzerrung gekennzeichnet war, dass vor allem das Versagen von Schalke thematisiert wurde, und deutlich weniger die tolle Leistung von Pal Dardais Mannschaft.

Hertha hat der Liga einen Gefallen getan und nicht nur Schalke entzaubert, den Tabellenzweiten aus der Saison davor. Hertha hat auch Hinweise auf einen gesamtheitlichen Fußball gegeben, denn der Sieg beruhte auf einer klugen Defensivleistung, war aber niemals bloß ermauert.

Es gab ja schon aus dem ersten Spiel viele Indizien, dass mit diesem Kader einiges möglich sein könnte. Ein wenig argwöhnisch war ich wegen Pal Dardai: würde er in der Lage sein, seine Alibis hinter sich zu lassen? Letztes Jahr hat er sich allzu oft hinter Transformationsphrasen versteckt und alle Ansprüche zurückgewiesen, dass auch Hertha eine Verantwortung für diese Liga übernehmen muss.

Der Sieg gestern auf Schalke war nicht zuletzt ein Triumph von Pal Dardai und seinem Team, denn er war in jeder Hinsicht auch ercoacht. Das begann mit der Startformation, der Grujic hinzugefügt wurde, in der Duda aber blieb, und wie sich herausstellte, mit einer spielentscheidenden Doppelrolle - oder eigentlich neun bis elf Doppelrollen, denn alle trugen ihren Teil zu beiden Aspekten des Spiels bei. So variabel sind die personellen Möglichkeiten mit der flachen Hierarchie im Hertha-Kader, dass lange Zeit und auch nach dem frühen, verletzungsbedingten Ausscheiden von Rekik gar nicht ganz klar war, ob das nun eine schiefe Formation mit Viererkette, eine Dreierkette mit Siebenerschwamm oder sonstwas war. So elastisch gingen die Priviliegien für einen Freigeist wie Kalou in die kollektive Verantwortung über, dass Duda seine Leistung früh mit dem Führungstor krönen konnte.

Danach machte Hertha es spannend, als wäre es lustvoller, Schalke am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen, statt sie einfach zu erlegen. Hertha spielte mit eleganter Flexibilität gegen einen, zugegeben, bald entnervten Gegner. Duda wird heute in den Berichten sicher ausreichend gepriesen werden, hervorzuheben wäre aber auch zum Beispiel Maxi Mittelstädt, der mehrfach unter Druck offensive Miniauflösungen produzierte - Hertha kann sich dieses Jahr aus Zweikämpfen auch anders befreien als mit einem Rückpass. Das hat Arne Maier mit seinen Grundkomeptenzen im Vorjahr eingeführt, es verbreitet sich nun durch die Mannschaft. Grujic korrigierte seinen Fehler, der zu einem Elfer führte (verschossen ausgerechnet von der alten Hertha-Nemesis Caligiuri, auch er gestern entzaubert) mit einer tollen Leistung in einer Position weiter vorn, nachdem Lustenberger für Ibisevic gekommen war. Dilrosun und Mittelstädt (und Torunarigha) harmonieren so hervorragend, dass Plattenhardt um seinen Stammplatz bangen muss. Ich scherze, aber nur halb.

Von Beginn an (also von der frühen Verletzung von Rekik an und nach dem verschossenen Elfer von Schalke) lag ein Hauch von Leipzig über diesem Spiel. Voriges Jahr vor Weihnachten hatte Hertha mit einem Upset bei den Roten Bullen etwas von der gemeinschaftlichen Arbeit und dem Mut gezeigt, der gestern plötzlich ganz normal wirkte. Dabei sind die Unterschiede zur Rückrunde 2018 so eklatant, dass man es eigentlich immer noch nicht ganz glauben mag. Und es war ja auch tatsächlich nur ein Spiel, und gegen einen Gegner, der sich als Luftballon (dem man die Luft auslassen kann) gut anbot. Es war die Berliner Luft, die sich in der Arena breit machte. Und zumindest für den Moment einer Länderspielpause dürfen wir uns daran erfreuen, dass bei Hertha BSC nach einem diskreten Transfersommer eine ganze Menge plötzlich zu stimmen scheint.

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