Enges Konzept

Wurde Pal Dardai jemals mit einem Laptop gesehen? Vielleicht sogar fotografiert? Mir ist nichts bekannt, und das hat auch gute Gründe. Es würde nicht zum Image des Trainers von Hertha BSC passen, der auch im Anzug an der Seitenlinie nicht gut vorstellbar ist. Laptop-Trainer sind Menschen, die mit 120 Powerpoint-Folien einen Club auf den Weg zum Champions League-Titel bringen können, wenn der noch gegen die Relegation aus der zweiten Liga spielt. Laptop-Trainer sind Konzept-Trainer.

Der Begriff fliegt Dardai gerade um die Ohren. Er hat ihn ohne Not groß gemacht. Der Kicker hat ihn nicht ausdrücklich erwähnt, jedenfalls nicht in dem Text von Steffen Rohr, der Dardai so erbost hat. Der Sky-Kommentator sprach am Freitagabend, da spielte Hertha in Paderborn, von einem Korsett. Jedes Konzept ist ein Korsett, in das man ein Spiel zwängt. Fußball ist ein Spiel, das sich so entwickelt hat, dass es von seinen besten Vertretern so radikal konzeptualisiert wurde, dass sich das Spiel in engsten Räumen zwischen sehr tiefen Linien und kleinen, spekulativen Läufen entwickelt. Davon weiß die Zweitliga-Hertha von 2024 nur sehr wenig.

Das Spiel gegen Paderborn hing gestern von einem anderen Konzept ab: Wenn ein runder Ball auf eine gerade Linie trifft, dann ist die kleinste Verbindungsmenge ein Punkt im Unendlichen. Der Ball ist ein Körper, der sich an den Rändern ins Atomare auflöst. Für die Linie gilt dasselbe. Wie weit der VAR ins Atomare schauen konnte, nachdem Kenny einen Ball in letzter Tausendstelsekunde (der räumliche Vorgang ist ins Zeitliche übersetzbar) noch für eine Hereingabe verwendete, blieb unklar. Die Bilder, die im Fernsehen zu sehen waren, boten jedenfalls nicht wirklich Aufschlüsse. Und so hängt die Entscheidung, den Treffer von Hussein zählen zu lassen, ein bisschen in der Luft. Wie auch der Sieg von Hertha insgesamt, nachdem Tabakovic spät sogar noch das 3:2 erzielen konnte.

Hertha steht jetzt eine Nacht lang auf Platz sechs. Was gestern zu sehen war, war aber eindeutig Zweitligafußball. Mit einem Aufstieg sollte diese Mannschaft unter dieser Leitung (und auf den rumpeligen Plätzen der deutschen Mittelstädte) nichts zu tun haben. Dass Pal Dardai so angefasst auf ganz normalen Fußball-Journalismus reagierte, hat sicher auch mit seiner Eitelkeit zu tun. Diese Eitelkeit wurde nirgendwo förmlich zertifiziert, ist aber im Fernsehen immer deutlich erkennbar. Sie hat auch mit seinem Status als Hertha-Legende, als Krisenhelfer, als BSC-Funkel zu tun. Er zelebriert sich als Original, und er ist ja auch eins. Das klappt so lange gut, als Hertha "geht zum Führung", also als Hertha den Kontakt mit der ersten Liga nicht abreißen lassen muss und vom Malstrom von Liga zwei verschlungen wird. Genau das ist aber in diesem Jahr der Fall.

Hertha spielt nicht wie ein Absteiger aus Liga eins, sondern wie Aufsteiger aus Liga drei, der sich wacker mit kompetenten Ensembles aus Paderborn, Wiesbaden oder Magdeburg misst. Kompetent sind diese Mannschaften alle vor allem für diese Liga, in der Fußball noch schwieriger zu programmieren ist als weiter oben, wo man es inzwischen oft mit virtuosen Gruppenorganismen zu tun hat. Hertha setzt auf Berliner Jugend, und hat davon einiges vorzuweisen. Hertha hat aber bis auf das Duo Tabakovic-Reese (und neuerdings vielleicht die Innenverteidigung Dardai-Gechter) kaum eine Stammformation. Und ist null "eingespielt". Die vielen Tore vorne und hinten entstehen oft wie aus dem Nichts. Das Spiel beruht nicht auf Funktionen, sondern auf deren Durchbrechung. Hertha spielt also – ich spitze zu – konzeptlosen Anti-Fußball. Das macht oft sogar Spaß, hat aber keine Perspektive.

Es wäre also plausibel, und aus meiner Sicht unabdingbar, dass sich das Club-Management überlegt, wo in Deutschland eine Trainer-Persönlichkeit auf dem Markt sein könnte, mit der man einen Prozess (noch so ein Antiwort, dem man aber nicht entkommt) auf den Weg bringen kann. Pal Dardai hat sich dieses Jahr große Verdienste erworben, aber er hat bisher nicht gezeigt, wie er mit dem gewiss ein bisschen unübersichtlichen Personalangebot, das ihm Benjamin Weber gemacht hat (soweit es nicht, siehe Reese, schon Bobic hinterlassen hat), eine Mannschaft formt, die weiß, was sie tut. Große Mannschaften schaffen mit ihrem Spiel ein eigene Logik. Bei Hertha aber ist vieles unlogisch - so auch gestern der Sieg gegen Paderborn.

Man kann das beklagenswert finden, dass der Fußball zu einem hochkomplexen System von Ableitungen aus dynamisch verkörperten Datenprofilen geworden ist. Umkehrbar ist der Prozess allerdings nicht. Pal Dardai bleibt Pal, das Original, dessen Qualitäten, aber auch Grenzen wir schätzen. Aber für die neue Saison sollte Hertha BSC einen Neubeginn wagen. Schon wieder einen. So ist der Fußball.

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