Mit einem bestenfalls mittelmäßigen Auftritt hat Hertha BSC gestern den Rückfall ins Mittelmaß gebremst. Das 2:1 gegen Mainz 05 war der erste Heimsieg seit Anfang Dezember, dem damals eher schmeichelhaften 1:0 gegen Frankfurt. Wenn man diese Saison später einmal Revue passieren lassen sollte, dann wird man vor allem eines feststellen: Entwicklungen sind von Konsolidierungen schwer zu unterscheiden, und Konsolidierungen nicht immer leicht von Trägheit. Und Trägheit nicht immer leicht von übertriebener Vorsicht.
Zum Beispiel diese erste Halbzeit gestern: das war vintage Hertha BSC in einem Heimspiel, bei dem Erwartungen bestehen. 45 Minuten lang wurde den Erwartungen ein Zahn gezogen, der eigentlich gar nicht schadhaft war. Die Spieler huldigten alle dem berühmten Bartleby: Ich möchte lieber nicht. Die Leistung hatte einen taktischen Aspekt in einer Formation, die mit Lustenberger in der Mitte einer Dreierkette einen unnötigen Spieler aufwies, während auf der Außenbahn auf beiden Seiten Optionen fehlten.
Der dynamische Lazaro machte das in der zweiten Halbzeit dann im Alleingang wett, und später kam mit Leckie dann auch noch ein Flügelspieler. Da war Davie Selke schon aus dem Spiel - seine Verletzung war vielleicht das wichtigste Ereignis gestern, denn nun hat Hertha in den Spielen, die der Mannschaft mehr zu liegen scheinen als Heimspiele in der Favoritenrolle, gerade mal wieder keinen Zielspieler.
Interessant war das Interview, das Pal Dardai am Samstag in der taz hatte. Ich zitiere den Schlüsselsatz: "Die Erwartung zu meinem Start hier war: eine neue Spielphilosophie, in den Nachwuchs investieren, und nicht absteigen. Wir haben jetzt eine gute Stabilität und können den nächsten Schritt machen." Wie immer muss man schon da ein wenig differenzieren: Hertha hat tatsächlich Stabilität erreicht, schon jetzt ist zum Beispiel die Rückrunde vergleichsweise normal, also von einem groben Einbruch nichts zu bemerken.
Allerdings sind die 34 Gegentore in dieser Saison bisher (und die Tordifferenz von plus 3) doch eher Ausweis einer labilen konkreten Stabilität. Und Mainz hatte auch die eine oder andere Chance zu viel gestern. Die "neue Spielphilosophie" sollte man nicht überbewerten, sie kann ja allenfalls in einer besseren Integration der beiden Aufgaben im Fußball liegen: Tore verhindern und Tore schießen. Alle Spielphilosophien sind im Grunde Balanceübungen, und bei Pal Dardai liegt der Schwerpunkt im Zweifel eben bei Fabian Lustenberger.
Der Schweizer befindet sich auf Abschiedstournee, die Fans lieben ihn, ich schätze ihn auch, aber gestern wäre eine Gelegenheit für einen nächsten Schritt ohne ihn gewesen. Der "nächste Schritt", von dem Pal Dardai sprach, ist das, was im Fußball am schwersten fällt, weil es so viele Möglichkeiten dafür gibt. Hertha hat de facto in den vier Jahren unter Dardai viele nächste Schritte gemacht, es fällt aber auf, dass in Spielen, in denen gar nicht unbedingt ein nächster, sondern einfach ein Schritt erwartet wird, Hemmungen auftauchen.
Der nächste Schritt für Dardai und für Hertha wird also irgendwo dort zu finden sein, wo Mentalität (die des Trainers und die der Mannschaft) auf das spielphilosophische Entweder/Oder trifft, auf das im heutigen Fußball fast alles hinausläuft: es geht fast immer um den einen Mann, von dem aus sich das Gefüge der Mannschaft ergibt. Pal Dardai sollte sich nicht zu sehr mit Fabian Lustenberger als alter ego auf dem Platz assoziieren.
Noch ein Detailaspekt zum Thema Nachwuchs: Arne Maiers Saison tendiert derzeit eher in Richtung Diskretion. Das mag damit zu tun haben, dass er mit Grujic offensichtlich in einer flexiblen Aufgabenverteilung arbeitet, in der gestern zum Beispiel beide nicht so richtig in die Spieleröffnung fanden, und beide auch nicht so richtig in den Spielaufbau. Grujic verlässt sich sehr auf seine technische und intellektuelle Überlegenheit, manchmal überschreitet er dabei die Grenze zur Arroganz und macht blöde Fehler. Maier macht weniger Fehler, kommt aber auch weniger in die Vorwärtsbewegungen, die er überhaupt erst dem Hertha-Spiel von dieser Position aus hinzugefügt hat. Das war tatsächlich ein "nächster Schritt", der nun aber seltener gelingt. So ist das wohl, wenn man mit zwei Achtern auf einer Sechs in einem Mittelfelddreieck mit zu starkem Zentralismus spielt.
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Kommentar von Jan |
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