Fahne pur

Mit ein wenig Verspätung liefere ich nun auch noch meinen Bericht von der Mitgliederversammling. Es war eine imposante Veranstaltung, die aber natürlich im Detail deutlich gemacht hat, welche unterschiedlichste Hoffnungen sich auf so einen Club wie Hertha BSC richten. Die meisten Fans würden mich wohl für leidenschaftslos halten, weil mir wesentliche Dinge wie die Antipathie gegenüber Schalke egal sind. Mich betrübt ganz einfach, dass Hertha mit dem modernen Fußball so wenig zu tun hat. Das soll sich nun ja mit Jos Luhukay ändern, dessen Handschrift als "aggressiv, offensiv und dominant" beschrieben wurde.

Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt nach einer Rückrunde, in der Hertha passiv und undominant aufgetreten ist. Dass die Fans in dieser Hinsicht auch ungern aus ihren Träumen gerissen werden, sah man an den Wortspenden zu Otto Rehhagel: Den Mann mit der unendlichen Erfahrung wollten mehrere Teilnehmer (auch auf dem Podium) ausdrücklich von der Verantwortung ausnehmen - ein Widersinn, denn KO hat den Abstieg ganz entscheidend mitverursacht. Aber nicht selten sind die Mythen für die Fans eben wichtiger als die Wirklichkeit.

Ein paar Punkte erscheinen mir in der Rückschau auf Dienstag wichtig. Erstens hat sich gezeigt, dass die strategische Intelligenz im Präsidium nicht gerade überrepräsentiert ist. Schon der Auftritt von Herrn Manske, der sich schließlich gegenüber Herrn Thomas für die Position der Vizepräsidentschaft durchsetzte, blieb belanglos, während der von Thomas schließlich die Preetz-Gegner fassunglos zurückließ. Sie hatten auf ihn gehofft, eine peinlichere Darbietung hätte man sich aber kaum vorstellen können. Angesichts der Schwäche der "Opposition" hatte der wiedergewählte Präsident Gegenbauer schließlich wenig Widerstand zu erwarten, wenn er formulierte, dass "Michael Preetz die größte Sicherheit bedeutet, dass Hertha BSC wieder aufsteigt".

Der Manager hatte einen populistischen Effekt parat, als er das Trikot für die neue Saison präsentierte, und einen damit einher gehenden Slogan in den Saal rief: "Fahne pur". Das ist nicht gerade allererste Redenschreibersahne, aber es wirkte irgendwie, und so richtig aus dem Konzept kam Preetz danach den ganzen Abend nicht. Auch nicht, als einer der Fragensteller während der Aussprache etwas laut und deutlich formulierte, wovon die ganze Stadt spricht, nur eben niemand offiziell - ob denn der Abgang von Markus Babbel etwas mit einer "Sexaffäre im dienstlichen Umfeld" zu tun gehabt habe? Dass er darauf keine Antwort bekam, verwundert nicht.

Die Werbung in eigener Sache, die Preetz und Gegenbauer (und Finanzchef Schiller) machten, enthielt zumindest einige Ausblicke auf die neue Saison. Interessant ist, dass nur fünf Spieler genannt wurden, die das Gerüst für die kommende Mannschaft bilden sollen: Kraft, Niemeyer, Hubnik, Lustenberger und Kobiashvili, der aber ausgepfiffen wurde (vermutlich wegen des vereinsschädigenden Verhaltens in den Katakomben von Fortuna Düsseldorf). Ob es nun vier oder fünf Namen sind (plus die Jungen aus dem Nachwuchs), macht keinen so großen Unterschied. Es wartet eine Menge Team Building auf Preetz, Luhukay und einen noch zu bestimmenden "Karrierecoach für die Talente".

Besonders vage blieb die aktuelle Führungsspitze wie immer bei den finanziellen Angelegenheiten. Hier fiel einmal mehr das Stichwort von der "Durchfinanzierung" der kommenden Saison, ohne dass Schiller auch nur eine Andeutung gemacht hätte, wie sich Hertha das Schuldenmanagement in der Zukunft vorstellt - vor allem auch, wie eine entsprechende Planung für den Fall eines Verbleibs in Liga zwee über 2013 hinaus aussieht. Zwei, drei Fragen wurde in dieser Richtung gestellt, jemand hatte sich da gut vorbereitet, kam aber nicht einmal in die Nähe einer ausreichenden Antwort. Für die MV im Spätherbst wird das meiner Meinung nach das entscheidende Thema, und es wird notwendig werden, dass sich da jemand gründlich schlau macht.

Der scheidende und neue Präsident ließ dazu nur verlauten, was ohnehin seit längerer Zeit die offizielle Platte dazu ist: "Wir müssen daran arbeiten, Eigenkapital zu bekommen. Das geht nur über einen strategischen Partner." Bisher hat sich hauptsächlich ein anonymer Partner über ein sogenanntes "Spielerbeteiligungsmodell" hier verdient gemacht - wie sich das auf etwaige Transfereinnahmen im Sommer auswirken würde und wie Hertha mit Einnahmen aus denkbaren Verkäufen von Raffael oder Ramos umgehen würde, wäre zu thematisieren gewesen. Das unterblieb aber. Anscheinend soll der Schuldenberg vorläufig in voller Höhe stehen bleiben.

Hertha macht also nicht nur personell, sondern auch inhaltlich einfach so weiter wie gehabt. Das muss keineswegs zwangsläufig schief gehen, ist mit diesen Risiken aber eigentlich schwer zu verantworten. Ein gescheites Präsidium wäre in so einer Situation von großem Interesse, leider fanden sich dafür kaum Kandidaten, sodass außer dem von den Fans delegierten Marco Wurzbacher eigentlich kaum neue Impulse auszunehmen sind. Die müssen nun vor allem von Jos Luhukay kommen.

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