Fenster der Gelegenheit

Hertha ist heiß auf Karim Bellarabi: Diese und ähnliche Schlagzeilen gab es seit mehr als einem Jahr immer wieder zu lesen. Schon in der Wiederaufstiegssaison gab es Gerüchte, dass der damals bei Braunschweig spielende Angreifer für Berlin interessant wäre. Inzwischen ist er bei Bayer 04 Leverkusen, wo er angeblich erst vor einer Weile vom neuen Trainer Roger Schmidt so richtig bestätigt wurde. Das Ligaspiel vom Samstag hat er jedenfalls wesentlich mitbestimmt, um nicht zu sagen: er hat es im Alleingang entschieden, und zwar gegen Hertha. 2:4 hieß es nach einem sehr interessanten Spiel.

Die Niederlage entsprach am Ende den Qualitäts- und Kräfteverhältnissen. Doch Hertha hat einer der Topmannschaften eine Menge abverlangt. Und das mit einer originellen Formation. Der Coach hatte auf die Verletzungen, aber auch auf den Gegner, mit einer starken personellen Umstellung reagiert: Fünferkette, Zweiermittelfeld, drei Ausflügler für die Kontergelegenheiten. Dass van den Bergh links hinten vor Plattenhardt den Vorzug bekam, wie auch Ndjeng rechts vor Pekarik, waren sicher Millimeterentscheidungen. Wobei Luhukays Langmut mit Ndjeng sicher stärker von blinden Flecken durchsetzt ist als bei anderen Spielern.

Fabian Lustenberger spielte zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder, rechts neben Heitinga und Brooks. Davor Hosogai und Niemeyer, als Schwärmer und frühe Balleroberer dann Schulz und Beerens, ganz vorne Schieber. Er ist der vielleicht umstrittenste Neuzugang, und zum zweiten Mal deutete er an, dass er ein exzellenter, auch spielender Stürmer werden könnte. Am Führungstreffer in der ersten Hälfte war er maßgeblich beteiligt, seine scharfe Hereingabe auf Schulz versenkte der junge Jedvaj ins eigene Tor. Der zweite Hertha-Treffer war ein lupenreiner Kurzkonter über den starken Schulz, der Schieber mit einer Flanke bediente, Verwertung per Kopf. Diese drei, wenn wir den wirksamen Beerens noch dazuzählen, bilden eine ordentliche Offensivformation, in allen drei Fällen wäre ich eigentlich betrübt, wenn die sich abzeichnende Entwicklung durch weitere "Königstransfers" unterbrochen würde.

Schieber war dann allerdings auch derjenige, der es versäumte, den Umschwung zu verhindern. Denn Leverkusen glich die zweite Führung von Hertha in der zweiten Halbzeit zu schnell aus. Und zwar durch einen Freistoß, in dessen Vorgeschichte wieder ein wenig Ärger über den Referee gehört, der aber in diesem sehr intensiv geführten Spiel mit ingesamt 31 Fouls auch eine Menge zu tun hatte. Als Spahic zum Kopfball ging, hatte Schieber, der ihn daran hindern hätte müssen, wahrscheinlich die Glückshormone von seinem eigenen Treffer noch nicht aus dem Körper gelaufen.

Das 3:2 durch Brandt bereitete Bellarabi brillant vor, das 4:2 machte er selber. Die Million, die Bayer vor drei Jahren für ihn an Braunschweig bezahlt hat, hat er schon amortisiert. Den 6,8 Millionen schweren Neuzugang Drmic beließ Schmidt auf der Bank. Auch das sagt etwas über die Kräfteverhältnisse aus, die das Spiel letztendlich entscheidend bestimmten: Calhanoglu und Bellarabi waren insgesamt deutlich wirkungsvoller als die keineswegs schlechten Beerens und Schulz. Und Kießling war, anders als Schieber, auch im eigenen Strafraum eine Macht.

Ich war nach dem Spiel keineswegs schlechter Laune. Das war eine echte Demonstration von Konkurrenzfähigkeit, auch taktisch hat Luhukay gezeigt, dass er Ideen hat (das Personal dafür sucht er gerade, wie er auch durch die Auswechlung von van den Bergh zeigte, für den dann doch noch Plattenhardt kam). Und wenn Hertha es geschafft hätte, das Fenster der Gelegenheit nach dem 2:1 in der 62. Minute länger offenzuhalten, wäre vielleicht sogar mehr drinnen gewesen.

Aber auch so verspricht das eine interessante Saison zu werden, und dies noch vorbehaltlich der Namen, die morgen eine Rolle spielen sollen, wenn sich das andere Fenster der Gelegenheit schließt. Hertha wird noch Zugänge vermelden. Danach werden wir eine der bewegtesten Transferperioden zu analysieren haben, an die ich mich erinnern kann.

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