In der ewigen Statistik der Berliner Erstliga-Derbys zwischen Union und Hertha ist Hertha BSC gestern einholbar in Führung gegangen: es steht jetzt 2:1. Im Vorjahr gab es gefühlt zur gleichen Jahreszeit, aber auswärts, das schlechteste Spiel der kurzen Ära Covic von Hertha. Das Rückspiel gewann Hertha dann während des ersten Lockdowns souverän. In diesem Jahr sind die Umstände umgedreht: Hertha zuerst daheim, das Rückspiel soll Anfang April stattfinden. Man wagt im Moment gar nicht daran zu denken.
Ein ehemaliger Herthaner hat dem Spiel und Lucas Tousart gestern seine Stollen aufgedrückt. Robert Andrich hatte sich offensichtlich ein kleines Privatduell mit Dottore Felix Brych vorgenommen nach dem Motto: wieviele Fouls kriege ich in wenigen Minuten vor der ersten gelben Karte unter? Er verlor es durch eine direkte rote Karte, weil er Tousart mit hohem Bein an den Unterkiefer ging. Vielleicht trainiert Andrich in der Freizeit zu viel Krav Maga?
Zu diesem Zeitpunkt führte Union schon mit 1:0 nach einer Szene, die man sich auch hundert Mal ansehen könnte, sie böte immer noch neue Aspekte: allein der kleine Tanz, den Torunarigha neben Ingvartsen zeigt, während der sich den Ball herrichtet, um ihn elegant (dudesk würden wir Herthaner vielleicht in Erinnerung an einen auch schon wieder verflossenen Filigranisten in unseren Reihen sagen) zu Awoniyi durchzustecken. Der ließ sich von Guendouzi nicht daran hindern, Schwolow keine Chance zu lassen. Der Keeper streckte sich, erreichte den Holperball aber nicht.
Hertha musste gestern das Spiel machen, erst recht dann gegen die dezimierten Eisernen. Das gelang in der ersten Halbzeit gar nicht, in der zweiten zumindest so weit, dass drei Tore dabei heraussprangen. Eine Einzelaktion des stark auf Einzelaktionen setzenden Cunha endete mit einem Weitschuss, den Luthe zu Pekarik lenkte. Der Veteran, der sich aufgrund des linkslastigen Hertha-Spiels rechts viel Muße hatte, war zur Stelle und staubte ab.
Bei den Toren zwei und drei hatte der eingewechselte Dilrosun viele Anteile. Seine Fähigkeiten im direkten Duell machten einen kleinen Unterschied gegen einen Gegner, dessen Matchplan (mustergültiges Kompaktspiel mit diskreten Lucky Punch-Ambitionen) vielleicht zu früh aufgegangen war, um für ein ganzes Match ohne Andrich zu reichen. Da half auch der ganze Fleiß Union nichts.
Piatek, an dem ich nie gezweifelt habe, weil ich nie wusste, was er wirklich kann, traf zweimal und holte sich Selbstbewusstsein mit seinen rauchenden Colts.
Wo soll das hinführen mit dieser Hertha an der Schwelle zu 2021? Die biedere Spielanlage hat sich zwar in Halbzeit zwei ein bisschen verbessert, auch weil Guendouzi traditionell nach der Pause initiativer wird (wenn man bei einem Spieler, der gerade erst neulich kam, schon von traditionell sprechen kann: instant-traditionell vielleicht). Dilrosun verdient einen Vertrauensvorschuss. Lukebakio sollte besser wieder über die Flügel kommen.
Wenn man das alles ein bisschen in eine Perspektive rücken möchte, dann fällt doch auf: Hertha war unter Pal Dardai beim Herausspielen bzw. beim Spielgestalten schon einmal deutlich weiter. Es wird clubhistorisch eines der großen Rätsel bleiben, warum diese Entwicklung damals zu der lethargischen Hertha der späteren Dardai-Phase führte - zu einer Mannschaft, die kaum mehr in die Gänge kam.
Mit der haben wir es jetzt im Wesentlichen immer noch zu tun. Niklas Stark, der Entschleuniger im Zentrum, ist der Faktor Kontinuität. Bisher ist nicht zu erkennen, dass Hertha sich unter Labbadia in einem anderen Prozess als dem eines ultrapragmatischen Anything Goes (zu Deutsch: irgendwas wird vielleicht schon gehen) befindet. Der Sieg gegen Union hat jetzt immerhin die gröbsten Sorgen beseitigt, Anschluss an die Tabellenregionen, auf die Pal Dardai es abgesehen hatte, ist hergestellt: das Niemandsland.
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