von Marxelinho

Flüssig sind Mittel nur, wenn sie fließen

Die Premier League beginnt bereits in zwei Wochen, es sieht alles nach einer besonders umkämpften Kampagne aus. Grund genug, sich die ersten Gedanken über Arsenal in diesem Jahr zu machen. Der Guardian sieht die Gunners in seinem aktuellen Preview auf Platz 5 im kommenden Jahr. Das würde bedeuten, dass 2017/18 erstmals seit gefühlten Ewigkeiten die Teilnahme an der Champions League für Arsenal ausfallen würde.

Warum urteilt der Guardian so pessimistisch? Einerseits hat sich der Kreis der Aspiranten auf die Plätze 1-3 und 4 sukzessive erweitert: Neben den zuletzt schwachen Platzhirschen Manchester United und Chelsea ist Manchester City durch die Geldsäcke aus dem arabischen Raum eine fixe Größe geworden. Tottenham arbeitet seit Jahren gut, und Liverpool hat auch genug Geld, um prinzipiell mithalten zu können. Dazu kommen jede Saison ein, zwei Störenfriede, wobei es natürlich eine absolute Ausnahme ist, wenn ein Team wie Leicester bis zum Titel durchmarschiert.

Arsenal hat 2016 in letzter Sekunde noch die Rivalen von Tottenham überholt und wurde Vizemeister. Die Rückrunde, die in England ja schon um die Weihnachtszeit beginnt, war eine große Enttäuschung. Was möglich gewesen wäre, geht im Detail aus der Tatsache hervor, dass Arsenal als einzige Mannschaft sechs Punkte gegen Leicester holte, darunter der super dramatische Heimsieg mit einem Last-Second-Tor von Danny Welbeck, der aber leider schon wieder bis Februar 2017 ausfällt.

Den Sommer hindurch ist es bei Arsenal traditionell ruhig. Das kann man als Qualität sehen, oder aber auch als mangelnde Ambition. Tatsächlich hat Arsenal einen Kader, der gar nicht mehr leicht so zu verstärken ist, dass nicht auch Qualität verloren ginge, weil interessante Spieler wieder in die Warteschleife müssten.

Die absolute Toppersonalie wurde früh gelöst. Seit Jahren fehlte ein souveräner, spielintelligenter Anker im zentralen Mittelfeld. Das soll also (nach den Übergangslösungen Arteta, Flamini und Coquelin) nun Granit Xhaka sein. Damit steht das erste Dreieck weitgehend fest: Xhaka, Ramsey und Özil wären die Schaltzentrale der idealen Elf in der neuen Saison. Dass Ramsey ein herausragender Spieler sein kann, konnte man bei der EM auf jeden Fall im Spiel gegen Belgien sehen (und im Spiel gegen Portugal, wo er nicht zu ersetzen war). Und Özil war nach Meinung der meisten Beobachter bester Deutscher gegen Frankreich. Er ist für immer noch auf dem Weg nach oben, wenn er seine neuerdings superprofessionelle Haltung beibehält.

Die Angriffsreihe ist noch nicht ganz so klar definiert: Sanchez auf links ist klar, Giroud in der Mitte verdient für meine Begriffe weiterhin das Vertrauen, damit bleibt die Position rechts. Theo Walcott, inzwischen 27 Jahre alt und ein Veteran (!), wird allgemein skeptisch gesehen. Oxlade-Chamberlain ist nach wie vor eher ein Riesentalent als ein Weltklassemann. Joel Campbell hat sich nicht durchgesetzt. Eigentlich wäre da noch Bedarf. Julian Draxler, der immer wieder mit Arsenal in Verbindung gebracht wird, kommt eher über links. Die Idealbesetzung ist eindeutig Danny Welbeck, der ganz wunderbar von der Seite kommen kann, aber eben derzeit verletzt ist.

Damit sind noch mindestens zwei große Namen im Mittelfeld außen vor: Santo Cazorla ist wieder fit, er wird sich mit Ramsey abwechseln. Alex Iwobi könnte den Reservisten für Özil machen, ist aber eigentlich schon zu weit, um sich mit gelegentlichen Einsätzen zufrieden zu geben. Jack Wilshere, der bei der EM extrem schwach war, ist eine ungewisse Größe. Mohammed Elneny, erst vor einem halben Jahr gekommen, droht ein alternativer Dienstweg über die Cupbewerbe.

Große Ungewissheiten gibt es in der Defensive. Die Verletzung von Per Mertesacker wird allgemein als Rückschlag beschrieben, ohnehin aber hätte nur noch als Backup mit ihm planen sollen. De facto hat Arsenal nur einen wirklich guten zentralen Defender: Laurent Koscielny. Neben ihm wäre nun Gabriel Paulista der erste Kandidat. Ich halte nichts von ihm. Calum Chambers, für den Arsenal vor zwei Jahren immerhin 20 Millionen Euro an Southampton bezahlt hat, halte ich immer noch für interessant, aber er ist so etwas wie der Ginter von Arsenal. Er konnte sich noch nicht konstant auf einer Position bewähren. Für drei Millionen hat Arsenal in diesem Sommer von Bolton einen jungen Verteidiger gekauft: Rob Holding hat gute Presse, ich habe ihn noch nie spielen gesehen. Neulich muss er einmal mit Krystian Bielik zusammengespielt haben, einem 18jährigen Polen, der als Perspektivspieler für die Sechs geholt wurde, neuerdings aber eher als Innenverteidiger geführt wird. Auf ihn bin ich sehr neugierig.

Im Tor wird Petr Cech die Nummer 1 bleiben, obwohl Wojciech Szczesny aus Rom zurückgekehrt ist. Der Pole, den ich für einen großen Keeper halte, der aber vielleicht kein großer Profi ist, hat noch Vertrag bis 2018. Wenn er sich zusammenreißt, kann er immer noch locker der nächste David Seaman für Arsenal werden.

Viele Fans haben Arsène Wenger auch deswegen satt, weil er so defensiv investiert. "Spend some f***ing money", ist immer wieder zu hören und zu lesen. Arsenal hat 165 Millionen Pfund flüssig, erwähnt der Guardian. Wenn man aber einer Mannschaft so beobachtet, wie wir es mit den Teams, die wir mögen, nun einmal tun, dass kann es nicht nur um den Zukauf von Supertalenten mit großen Namen um jeden Preis gehen (das macht Mourinho gerade mit den Dividenden der kaum kleiner zu kriegenden Popularität von Manchester United.)

Dann sieht man eben auch, was an Potential da ist, was langfristig denkbar wäre, dann hat man jemand wie den Berliner US-Äthiopier Gedion Zelalem im Auge, der schon zum zweiten Mal im Sommer mit den Profis unterwegs ist. Ich bin aus vielen Gründen schon lange eher im Lager derer, die Arsène Wenger abgelöst sehen wollen, muss aber zugeben, dass der Arsenal-Kader immer noch voller interessanter Geschichten steckt. Viele werden aber vermutlich so verlaufen wie die von Theo Walcott, von dem man nach über zehn Jahren und einigen großen Momenten eines nicht sagen kann: dass er bisher eine große Karriere hatte.

Das aber macht große Teams aus: eine kluge Zusammenstellung von Individuen, die allesamt für eine große Karriere geeignet sind, oder zumindest gerade eine Phase haben, in der sie dazu Anstalten machen. Da lässt der ewige Talenteschuppen Arsenal eben doch immer wieder zu wünschen übrig, sodass wahrscheinlich auch bald die Gerüchte über die Zukunft von Özil und Sanchez (beide bis 2018 gebunden) beginnen werden. Arsenal spielt in diesem Jahr auch um den Verbleib seiner beiden einzigen Superstars.

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