Gestern war wieder einmal so ein Tag, der einen zum Fußball-Nihilisten machen könnte. Hertha spielt in Düsseldorf (die Fans wissen, die größere deutsche Öffentlichkeit erinnert sich vielleicht vage: belasteter Ort), im Spiel geht es um drei Punkte, auf dem Spiel steht ein guter Saisonstart, der allmählich nach einer Bestätigung verlangt.
Hertha verliert mit 1:4, obwohl 40 Minuten lang alles nach einer sicheren Kiste ausgesehen hatte. Der Genauigkeit halber muss man dazusagen, dass die sichere Kiste unausgepackt zwischen den beiden Teams stand, und beide wenig Anstalten machten, sich ihrer zu bemächtigen. Dann griff Maximilian Mittelstädt dem Fortunaten Zimmer in den Lauf, die Sache sah aus der Perspektive des Schiedsrichters wohl dramatischer und nach Ellbogeneinsatz aus, jedenfalls gab es eine gelbe Karte, für den jungen Linksverteidiger der Hertha war es allerdings schon die zweite im Spiel.
Hertha hatte in Düsseldorf gestern also zwei Herausforderungen - 40 Minuten lang hatte sie Zeit, sich eines Spiels zu bemächtigen, das weiter offen nicht sein konnte. Danach musste sie 45 Minuten lang in Unterzahl versuchen, sich gegen Widrigkeiten zu behaupten und vielleicht Andeutungen des Charakters einer Spitzenmannschaft zu machen. Ich weiß nicht, welches der beiden Versäumnisse gravierender ist, vermutlich aber doch zuerst einmal das erste.
Pal Dardai hatte mit seiner Aufstellung dazu beigetragen, dass die Mannschaft schwer in die Gänge kam. Denn die elastische Hertha der ersten paar Ligawochen war mit Darida und Maier in einer Schelle-und-Lusti-Konstellation schon fast wieder die phlegmatische Hertha, die wir eigentlich viel besser kennen. Umständlich bemühten sich alle, die Flügelformationen wenigstens in Ansätzen ins Spiel zu bekommen - und als Duda einmal unvermutet eine Chance im Strafraum bekam, da ließ seine Körperspannung erkennen, dass er sich zu sehr an die Leichtigkeit des Toreschießens gewöhnt hat, die ihm in den schöneren Wochen des Jahres zugeflogen war.
Der Schiedsrichter hatte gestern auch keinen guten Tag, er ließ der Fortuna fast alles durchgehen, und war streng mit Mittelstädt. Aber Hertha hätte nicht so auseinanderfallen dürfen. Das Thema Körperspannung wurde in Halbzeit zwei noch eklatanter, als Jordan Torunarigha nach Verletzungspause links hinten ins Spiel kam. Er ließ sich mehrfach widerstandslos überlaufen, mit einem Wort: der Einsatz kam zu früh. Andererseits könnte man ja auch meinen, dass ein junger Spieler, der die Saison stark begonnen hat, heiß sein könnte auf sein Comeback, und sich darum bemüht, konzentriert sein Talent einzubringen.
Das Unheil nahm dann ohnehin im Zentrum seinen Lauf, die zweite Halbzeit war zum Haareraufen, und am Ende stand die Formel vom gebrauchten Tag. Hertha beginnt diese Tage aber schon wieder zu sammeln, Vergleiche vor allem mit dem Heimspiel gegen Freiburg drängen sich auf. Und im Grunde ist die Sache schon nicht mehr zu übersehen: Die Mannschaft hat ihr älteres Selbst wiedergefunden. Das ist schon wieder die Hertha aus dem Vorjahr, die ihre Defizite geradezu systematisch aus einem Mangel an Mentalität heraus entwickelte. Individuell mag in diesem Jahr mehr Talent vorhanden sein, aber die gemeinsame Neutralisierung gelingt schon wieder ganz gut.
Und deswegen war ich gestern ein paar Stunden lang Fußball-Nihilist. Weil der Versuch, diese Bemühungen konstruktiv zu beobachten, im Grunde lächerlich ist. Und dieses Mal mache ich Ernst: von nun an gibt es hier nur noch strikte Werkimmanenz. Ein Spiel ist ein Spiel, aus dem nichts hervorgeht. Ein Spieltag ist kein Puzzlestück, sondern eine Aufdeckung in einem Memory, in dem es niemals zwei gleiche Karten gibt. Fußball ist die Abwesenheit von Sinn. Leider ertappe ich mich aber gerade schon wieder bei dem Gedanken, dass die Mannschaft aus ihren Versäumnissen Konsequenzen ziehen könnte. Ich werde es wohl nie lernen.
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