Von Begeisterung über den Ligastart war nicht sonderlich viel zu spüren gestern Nachmittag, an einem wunderbaren Sommertag, an dem Berlin kaum Notiz zu nehmen schien von der Veranstaltung im Olympiastadion. 45000 Zuschauer kamen, um Hertha gegen den VfB Stuttgart zu sehen, das sind gerade mal so die Unentwegten. Der Ligaalltag hat uns wieder, und er zeigte sich dann auch so richtig in seiner Alltäglichkeit.
Zu dieser Alltäglichkeit zählt bei Hertha auch eine Selbstironie, der man den Schweiß der Praktikanten in der zuständigen PR-Agentur regelmäßig ansieht. In diesem Fall kursierte ein Witz über die mögliche Tabellenführung, der ungefähr das Niveau des Humors hat, mit dem man sich auf den Rängen ein wenig Luft verschafft, wenn das Spiel fad ist.
Hertha gewann dann mit einem soliden Arbeitssieg gegen einen dürftigen Gegner mit 2:0, steht also zumindest bis Sonntag auf einem Europacup-Platz (zwinker zwinker). Dem Coach war die Leistung sichtlich zu viel Routine. Er machte in den Interviews noch ein Fass auf, weil das Spiel ausgerechnet nach der Führung ein wenig spannender wurde. Stuttgart kam in der zweiten Halbzeit zu Chancen, aber so richtig gefährdet wirkte der Sieg nie. Inspirierend war er allerdings auch nicht.
Zum Glück gab es die Geschichte mit Matthew Leckie, dem australischen Neuzugang aus Ingolstadt, für den Hertha immerhin drei Millionen ausgegeben hat, eine halbe mehr als vor einem Jahr für Alex Esswein, der nun ins Sturmzentrum beordert wurde. Mit Leckie soll der schnelle Chaot Esswein durch einen besser integrierten Feger ersetzt werden. Eine Halbzeit lang sah das wenig vielversprechend aus, weil Leckie sichtlich Mühe hatte, gegen eng deckende Stuttgarter den Ball auf seinen rechten Fuß zu bekommen, mit dem er Tempo aufnehmen wollte.
Gleich nach der Pause aber legte ihm der Kapitän den Ball mit einem sehr schönen Lupfer perfekt in die Bahn. Die Sache wäre aber ergebnislos geblieben, hätte Leckie nicht den Trademark Move von Mitch Weiser zur Anwendung gebracht (Haken nach innen, Verteidiger wird Opfer der Fliehkraft), und dann mit links abgeschlossen. Von Esswein haben wir vergangenes Jahr auch ein paar solcher cooler Momente gesehen. Bei Leckie wird sich weisen, ob er auf Sicht insgesamt produktiver am Spiel teilnehmen kann (sonst droht, wie bei Esswein, das Ellery-Cairo-Syndrom).
Hertha hat das Spiel in einer ähnlichen Weise gewonnen wie schon ein paar Tage davor das Cupspiel in Rostock, das ich leider nur mit einem ruckelnden Stream mit schlechtem WLan in einem Hotel in Sarajevo sehen konnte: auch dort war die Sache insgesamt relativ klar, ohne dass groß Fantasie aufkam.
Dass der Coach beim Stand von 2:0 (Leckie war der Ball nach einem Eckball noch einmal glücklich vor die Füße gesprungen, manchmal ist Fußball auch eine Sache des Horoskops oder des Hokuspokuskops) Niklas Stark und nicht Ondrej Duda brachte (beide brauchen Spielpraxis, stehen aber für unterschiedliche Spielpraxen), war schon wieder so eine Andeutung von Pragmatismus, mit der Pal Dardai Mühe haben wird, das 46. Tausend zu finden.
Die Bundesliga ist sicher nicht die beste Liga der Welt, aber sie tut manchmal so, als wäre sie die anständigste. Das ist aber erstens ein Trugschluss, und bedeutet zweitens kein Recht auf Langeweile. Der erste Spieltag 2017/18 enthielt aber schon wieder die eine oder andere Andeutung (HSV - Augsburg, Mainz - Hannover, Berlin - Stuttgart), dass eine flache Hierarchie auch zu einer Nivellierung nach unten führen kann. Hertha sehe ich in diesem Jahr stärker in der Verantwortung dafür, auch ein wenig Inspiration in den Bewerb zu bringen.
Daß die Fans landesweit den DFB dafür auspfiffen, dass die DFL die Kommerzialisierung der Liga vorantreibt, ist ein sekundäres Missverständnis, das vor allem zeigt, dass der Fußball in Deutschland derzeit in einer großen Modernisierungskonfusion begriffen ist: Ultras suchen nach einem harten Kern für etwas, was immer schon Spielball der Weltverhältnisse war, und die Weltverhältnisse suchen nach Bemäntelung für eine brutale Ausbeutung, die sich gerade epochal durchsetzt. Das ist in etwa die Spannweite, vor deren Hintergrund eine Begegnung zwischen Hertha BSC (herausgehauen durch den internationalen Finanzkapitalismus) und dem VfB Stuttgart (gerade noch mal eben so aus den Niederungen des Vereinslebens herausgehauen durch einen Teil der Deutschland AG) dann doch vor allem ein triviales Fußballspiel blieb, in dem sich nicht viel zeigte.
Außer, dass es eben doch auf jeden Lupfer, jeden Haken, jeden guten Move ankommt. Hertha hatte davon keineswegs zuviel im Angebot, aber wir wissen natürlich auch: Kunst kommt von Arbeit. Und für die Arbeit gibt es ab jetzt wieder Punkte, für die Kunst aber gibt es viel mehr, nämlich Begeisterung und Glück.
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