Gläubiger und Investoren

Für die meisten Fans ist die Beziehung zu ihrem Verein eine Angelegenheit für das ganze Leben. Etwas Unverbrüchliches. "Blau-weiße Hertha, du bist unser Sportverein, du wirst es für immer sein", singen die Herthaner, es ist zugleich Versprechen und Rückversicherung einer Identität, die sich nicht von sportlichem Erfolg abhängig macht, weil sie tiefer geht. Bei mir hingegen ist in den letzten Jahren etwas passiert. Ich habe mich von Hertha BSC entfremdet. Im Jahr 2000 kam ich nach Berlin, da war ich schon Fan des Hauptstadtclubs. 20 Jahre lang hat der Fußball mein Leben stark geprägt, seit 2004 habe ich mitgeschrieben.

Als neulich aber ein neuer Vereinspräsident gewählt wurde, war ich zwar interessiert, ich hätte auch gern abgestimmt (ich hätte auch Kay Bernstein gewählt), aber da hatte ich meinen Mitgliedsausweis schon zurückgegeben. Der Bruch kam mit dem Mann, der zuletzt wieder stark in den Schlagzeilen war. Ich konnte mich nicht als Fan eines Clubs sehen, der zu zwei Dritteln Lars Windhorst gehört, noch dazu in einer finanziellen Konstruktion, mit der die 50+1-Regel so umgangen wurde, dass man sich erst recht (und, wie wir inzwischen wissen: schnulzenhaft-schäbig) darin verstricken musste.

Windhorst ist für mich eine Verkörperung des heutigen Kapitalismus, an der man alle dessen negativen Züge wie in einer Karikatur erkennen kann: ein Mann, der keine andere Produktivität vorzuweisen hat, als dass er Geld zirkulieren lässt, von dem systematisch unklar bleiben muss, ob es überhaupt existiert, und ob es aus zulässigen Quellen kommt. Ein Mann, der das Wirtschaften auf Kredit zu seinem Prinzip gemacht hat, ein Proponent eines virtuellen Reichtums, von dem er selber zwar ganz gut leben kann, von dem aber aus Prinzip verschleiert werden muss, wie er wirklich wirtschaftet.

Bei Hertha hatte Windhorst dann das Pech, das er mit seinem Unvermögen auch verdient hat. Er hat vom Fußball keinen Schimmer, brachte aber trotzdem in der Transferperiode vor Corona den Verein so durcheinander, dass damals kräftig eingekauft wurde. Wir wissen, dass das letzlich nur ungefähr ein Viertel der insgesamt investierten 374 Millionen betraf. Der Rest versickerte.

Kay Bernstein steht nun vor der schwierigen Aufgabe, dass er sich einerseits Einblick in die Bücher verschaffen muss. Er darf aber gleichzeitig die Liquidität und Kreditwürdigkeit von Hertha BSC nicht gefährden. Wir werden also wohl nie erfahren, wie es kommen konnte, dass die Corona-Verluste unter Ingo Schiller im Vergleich zu anderen Bundesligisten mit ähnlichen Kennzahlen so erstaunlich hoch ausfielen. Er wird auch besser das Fass nicht mehr aufmachen, in dem die Hertha nach den Ende des KKR-Engagements (und vor dem Einstieg von Tennor) zu finden wäre. Denn da würde man vermutlich feststellen, dass Ingo Schiller damals im Grunde nehmen musste, wer immer sich gerade anbot. Aus blanker Not.

Das sind aber alles Umstände, die besser unter dem Teppich bleiben in einer Situation, in der nun ja jemand die Anteile von Tennor kaufen soll. Hertha kann sich wohl nicht noch einmal auf Kredit aus einem Investoren-Deal herauskaufen wie damals bei KKR. Trotzdem wäre es am besten, wenn Windhorst durch ein seriöses Engagement ersetzt würde. Doch woher soll das kommen?

Es hat auch mit der Geschichte der Stadt zu tun, dass in Berlin selbst kaum Strukturen einer seriösen finanziellen Potenz zu finden sind. Es gibt ein paar Neureiche, die den Immobilienmarkt verwüsten, mit denen will man auch nichts zu tun haben. Hertha hat in seiner Antwort auf die "Trennung" durch Windhorst einen kleinen Hinweis auf die Kompliziertheit der Situation platziert: es geht ja im Grunde nicht um Windhorst, sondern um das Geflecht aus "Investoren und Gläubigern", in dem er operiert. Darin könnte allerdings auch eine Chance liegen, denn möglicherweise ist es für die aktuelle Geschäftslage von Tennor eben doch besser, Hertha notfalls auch zu einem deutlich geringeren Betrag als 374 Millionen aus den Büchern zu bekommen. Denn in den Büchern steht dort ja eben nicht der lukrative europäische Player, den Windhorst meinte, herbeizaubern zu können.

Sondern ein Bundesligist, der sich unter Fredi Bobic mit den Krümeln am Transfermarkt bescheiden muss, und der unter dem neuen Trainer Sandro Schwarz derzeit Babyschritte zu ein wenig Konstanz in der unteren Tabellenzone macht. Mit einer Mannschaft, mit der ich leider überhaupt nichts anfangen kann. Dass aus den zehner Jahren gerade einmal der Vertragsabarbeiter Marvin Plattenhardt und sein Positionsrivale Maxi Mittelstädt als leicht erkennbare Blauweiße geblieben sind, während Arne Maier oder Jordan Torunarigha das Weite suchen mussten, macht eine neue Begeisterung für Hertha nicht leichter. Immerhin spüre ich, dass ich doch neugierig bin, ob sich eine Lösung findet, mit der die Causa Windhorst (für mich auch: die Causa Ingo Schiller, an dessen Hinterlassenschaft Hertha noch eine Weile nagen wird müssen) zu einem Abschluss käme. Eine zweite Liebe kann ja unter Umständen schöner sein als die erste.

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