Als ich am vergangenen Samstag am frühen Nachmittag zu Arsenal gegen Manchester City vor dem Fernseher saß, war ich ein wenig benommen. Eine Stunde Schlaf in der Holzklasse eines Flugs von Toronto nach Frankfurt ist nicht gerade eine ideale Voraussetzung für einen sechsstündigen Fußballnachmittag, den ich dann aber halbwegs souverän bestritten habe. Grund war wohl auch, dass Arsenal eine Leistung zeigte, die man phasenweise mit dem Begriff "elektrisierend" versehen könnte. Es wäre aber nicht die Mannnschaft von Arséne Wenger, wenn das nicht nur die halbe Wahrheit wäre. Die andere waren zwei schnöde Gegentore, sodass am Ende ein verdientes 2:2 stand. Es reicht eben nicht nur, zu glänzen, man muss auch grundieren.
Zwei Traumtore von Jack Wilshere und Alexis Sánchez hatten einen Rückstand wettgemacht, den Arsenal sich auf eine typische Weise eingehandelt hatte: ein Pressball in der gegnerischen Hälfte fällt mit großem Schwung in den Lauf von City, Flamini macht zwar die Rückwärtsbewegung, ist am Ende des Sprints aber nicht mehr konzentriert genug, um eine Hereingabe von Jesus Navas zu entschärfen. Aguero verwertete gekonnt.
Davor aber und vor allem danach zog Arsenal ein ziemlich fintenreiches Offensivspiel auf, in dem sich vor allem Wilshere besonders auszeichnen konnte. Er übernahm in diesem Spiel von Ramsey die Rolle des Freigeists, der im entscheidenden Moment vor dem Tor auftaucht. In den guten Momenten ist die Flexibiliät von Arsenal für die meisten Gegner zu viel: "teams cant live with us", hat Wilshere formuliert, und dabei auch die Sekundenregel verschärft, auf der das Gegenpressing beruhen soll. Fünf Sekunden zur Rückeroberung des Balls, das schafft verheißungsvolle Offensivaktionen. Es ist aber auch nötig, denn Arsenals Spiel durch die Mitte wird sonst schnell einmal unproduktiv.
Ein Geheimnis war an diesem Samstag die Variabilität von Sanchez, der oft über links kam, und dort mit Özil, der längst aus der Zentrale weichen musste und derzeit im Grunde nur die Nummer vier im Konzert ist, viel probierte. Das zweite Tor war allerdings ein Konter auf kürzeste Distanz, Kompany klärte eine Situation mit einem Kopfball, Wilshere köpft gleich wieder in den Strafraum, und Sanchez verwertete volley. Absolutely amazing.
Danach passierten zwei Dinge, die auch längerfristig von Bedeutung sind. Zuerst verletzte Debuchy sich ohne gegnerische Beteiligung schwer, danach traf Demichelis per Kopf nach einem Corner. Arsenal setzt bei dieser Standardsituation auf Raumdeckung, die Mannschaft interpretiert das allerdings viel zu wörtlich, und City hat das (es war ja in dieser Saison schon zu studieren) geradezu schulmäßig ausgenützt: Vier Blaue um den Elfmeterpunkt herum überluden einfach den zentralen Raum, so kam Demichelis unbedrängt an den Ball. Es sah naiv aus, wie Arsenal nicht nur in diesem Moment die eigentlich progressivere Methode gleichsam zu sehr beim Begriff nahm.
Debuchy, und damit bin ich schon beim heutigen CL-Spiel gegen Dortmund, wird vermutlich länger ausfallen. Damit hat Arsène Wenger schon zwei Wochen nach Ende der Transferperiode die Quittung für sein zentrales Versäumnis bekommen: Er hat es nicht für nötig befunden, einen weiteren exzellenten Defensivmann zu kaufen. Nun wird Calum Chambers, den er wohl in dieser Rolle sieht, für eine Weile auf rechts gebunden sein (zudem ist er für das Dortmund-Spiel seinerseits fraglich), und in der Innenverteidigung darf nichts mehr passieren: Fällt Kosciely oder Mertesacker aus, dann muss schon stark improvisiert werden.
Das erinnert zwar ein wenig an die Saison 2005/2006, als Arsenal es bis in das CL-Finale schaffte, und als Flamini häufig als linker Außendecker aushelfen musste. Von guter und vor allem ausreichender Planung kann man allerdings nicht sprechen, zumal ja nun auch überhaupt kein Spielraum mehr dafür besteht, zum Beispiel die Leistung von Mertesacker auch nur sinnvoll zu evaluieren, da es ja ohnehin keine Alternative zu ihm gibt. Gegen City war er gut, jetzt wird er sich aber eine ganze Weile lang gegenüber dem hochinteressanten Calum Chambers nicht legitimieren müssen, denn der wird anderswo gebraucht.
Arsenal macht Spaß in dieser Saison, mit Sanchez gibt es eine neue Identifikationsfigur, die Özil so in den Schatten stellt, dass der deutsche Feingeist sich vielleicht dort allmählich an das Spiel in England gewöhnen kann. Wilshere und Sanchez sind absolute Passionsfußballer, sie reißen die Leute von den Sitzen. Wie schön wäre es, wenn das Spektakel auch einmal auf Grundlage eines in allen Teilen durchdachten Plans (und Kaders) stattfinden könnte. Aber so ist das eben mit Arsenal unter Arsène Wenger, in dessen zweiter Phase, die 2006 begann: das Glas ist immer nur halb voll. Immerhin jetzt wieder halb volle Pulle.
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