Handtuchfühlung

Man trifft sich im Leben immer zweimal - diese für Verlierer tröstliche Weisheit hat gelegentlich einen wahren Kern. Der Arsenal FC trifft zum zweiten Mal hintereinander in einer Ausscheidungsrunde der "Champions League" auf den FC Bayern München. Vor einem Jahr war die Konstellation noch nicht so deutlich wie dieses Mal. Doch dann dauerte es nur 22 Minuten, bis Bayern im Emirates mit 2:0 vorn lag, und alles, was danach kam (darunter eben ein 2:0 von Arsenal im Rückspiel in München), konnte diesen desaströsen Einstieg in die Begegnungen nicht mehr korrigieren. Wir können davon ausgehen, dass Arsenal heute anders in das Spiel gehen wird, zumal ähnliche Erfahrungen aus der jüngeren Zeit zu Buche stehen. Bei den Auswärtsspielen in der Premier League bei Manchester City und beim FC Liverpool ließ Arsenal sich jeweils dramatisch überrumpeln. Das 1:5 in Anfield war so ziemlich eine der schmerzhaftesten Erfahrungen, an die ich mich als Fan erinnern kann. Faustkampfmetaphern sind hier voll und ganz zulässig. Wie lassen sich also die Chancen von Arsenal insgesamt bewerten? Die Mannschaft hat sich gegenüber den Vorjahr konsolidiert, allerdings hat Bayern vermutlich deutlicher an Qualität zugelegt. Ich würde die Wahrscheinlichkeit, dass Arsenal sich über die zwei Spiele hinweg durchsetzen kann, mit 20:80 beziffern. Aber das ist natürlich in den Wind gesprochen. Es gibt ein paar Faktoren, die mich sogar noch ein wenig hoffnungsvoller stimmen. Das Handtuch muss noch nicht geworfen werden. Der wichtigste hat mit einer Erfahrung zu tun, die Arsenal 2010/2011 gemacht hat. Damals traf Arsène Wengers Team zweimal hintereinander auf den FC Barcelona, damals das Maß aller Dinge in Europa. Und ausnahmsweise hatte der Coach, der einem berühmten Diktum zufolge "es weiß" (Arsène knows), sich tatsächlich für die zweite Auflage des Duells etwas überlegt. Arsenal tritt in dieser Phase des Bewerbs ja traditionell zuerst daheim an, das hat mit der Tatsache zu tun, dass mit unschöner Regelmäßigkeit das letzte Auswärtsspiel in der Gruppenphase und damit der Gruppensieg verschenkt wird. 2011 gewann Arsenal das Heimspiel mit 2:1, und überzeugte dann in Barcelona fast eine ganze Halbzeit lang mit einer sehr aggressiven, sehr hohen Defensivlinie - bis Fabregas, damals schon halb bei Barca und sowieso halb verletzt angetreten, mit einem Fersentrick vor dem eigenen Strafraum die Niederlage einleitete. Eine kontroverse gelb-rote Karte gegen van Persie besiegelte sie dann. Doch in diesem Match hätte Arsenal eine Chance gehabt. So wird es heute vor allem darum gehen, "im Spiel zu bleiben", also mit einer noch irgendwie plausiblen Ausgangsposition nach München fahren zu können. Ein 0:0 gilt dabei als keineswegs verkehrt. Welche Mannschaft können wir für diese Aufgabe erwarten? Die Defensivformation steht weitgehend fest, wenn man davon ausgeht, dass Gibbs, der zuletzt oft pausiert hat, der eindeutig bessere Leftback gegenüber Monreal ist. Koscielny, Mertesacker und Sagna komplettieren die Viererkette, Sczeszny im Tor ist unumstritten. Arteta ist gesperrt, ohnehin hätte ich ihm Flamini vorgezogen, neben dem Wilshere zu erwarten ist, davor Özil als Freigeist, und Giroud als "target man". Bleibt die Frage nach den Flügelspielern. Vermutlich wird Rosicky aufgrund seiner Erfahrung und auch seiner größeren Defensivqualitäten in die erste Elf rücken, dann bleibt noch die Entscheidung zwischen Oxlade-Chamberlain und Cazorla. Ich wäre für "The Ox", er ist gut in Form, kann Lücken reißen, zumals Ribéry bei Bayern fehlen wird. Cazorla zieht oft nach innen, und hat in der Rückwärtsbewegung doch Defizite. Ich würde ihn von der Bank kommen lassen. Podolski und Gnabry sind nicht in der Startelf zu erwarten, auch wenn das manche Kommentatoren beim Bezahlfernsehen anders sehen werden. Am Sonntag hatte Arsenal im FA-Cup die Chance, sich gegen Liverpool zu rehabilitieren. Das gelang, mit Hilfe des Schiedsrichters, aber auch mit einer ansprechenden Leistung von Mesut Özil, und einer soliden Defensive gegen die gefährlichen vertikalen Läufe von Daniel Sturridge. Die mentalen Voraussetzungen sollten also stimmen. Das Emirates riecht noch nach einem Sieg gegen einen schweren Gegner. Das Spiel heute Abend läutet auch die heiße Phase des Wettbewerbs "Alle gegen den FCB 2014" ein. Der europäische Fußball in seiner Gesamtheit hat nun noch ein paar Gelegenheiten, in dieser Saison Rezepte gegen die Dominanz auszuprobieren. In der Bundesliga sind es eine Handvoll Mannschaften, die vielleicht in der Lage sind, den übermächtigen Favoriten vor eine Aufgabe zu stellen. Hertha sollte dazuzählen. In der CL sind es maximal sieben Begegnungen. Wenn der Arsenal FC über sich hinauswächst, dann sind es vielleicht nur zwei. Es wäre ein gefühlter "Champion's League"-Sieg, auf den dann allerdings ein ganz normales Viertelfinale folgen würde. Eine Normalität, die dem ganzen Fußball gut tun würde.'

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