von Marxelinho

Im Frühling fällt das Obst nicht von alleine

Eine halbe Stunde lang stand Hertha BSC gestern auf Platz 8 der Tabelle, hätte also einen großen Sprung gemacht und die gesamte Ausgangslage für die restlichen Spiele noch einmal grundlegend verändert. Es war ein Packing-Spiel: mehrere Gegner in einer Bewegung zu überbrücken. Ein Sieg gegen Gladbach war zum Greifen nahe, es fehlte nur eine Kleinigkeit: ein bisschen Vertrautheit mit dem Torerfolg. Weil es Hertha daran aber massiv fehlt, konnte Gladbach zurückkommen, das Spiel ging mit 1:2 verloren, und weil der FC Bayern gegen Augsburg vier Treffer erzielte, ging es in der Tabelle trotzdem einen Platz nach oben. Ironischerweise.

Spiele gegen Gladbach sind erfahrungsgemäß immer relativ offen. So war das auch in der Hinrunde, als Hertha schnell drei Gegentreffer einfing, und dann eine Stunde begeisternden Angriffsfußball zeigte, allerdings den dritten Treffer nicht fand. Gestern fiel das Führungstor zu einem günstigen Zeitpunkt. Man kann darüber diskutieren, wie sehr das alles Absicht war: der lange Ball von Niklas Stark in den Strafraum sah aus wie ein Traumpass, wenn man allerdings seine meist experimentellen Schläge nach vorn mitbedenkt, wird man da eher einen gewissen Anteil Zufall dazudenken. Jedenfalls konnte Selke mit Unterstützung von Unterstützung von Vestergaard den Ball so weiterleiten, dass Kalou nur noch abstauben musste.

Kalou und Selke waren dann auch in der zweiten Halbzeit die Protagonisten des Dramas. Beide hatten hochkarätige Chancen, die oft von Maier und Darida ausgingen. Selke im Speziellen erwies sich mehrfach als klassischer Zielspieler, man sah aber auch, dass es ihm an Routine fehlt: zweimal hätte er vermutlich noch ein bisschen mit dem Abschluss warten können. Ruhe im entscheidenden Moment ist eben nicht selbstverständlich, wenn man vielleicht das Gefühl hat, viel (zu viel) beweisen zu müssen. Selke hatte aus den Vorwochen auch eine individuelle Geschichte mitgebracht - Zweifel an seinen Qualitäten.

Die eine Großchance, die am ehesten als hundertprozentige zu sehen war, hatte jedoch Kalou. Dass er in diesem Moment das Tor nicht traf, ließ erkennen, dass auch ein Veteran vieler großer Spiele vor dem berühmten Moment des Zweifels nicht gefeit ist: eines Tages wird die Wissenschaft vielleicht messen können, was da in einem Spieler vorgeht, der am Ende einer tollen Bewegung nur noch abschließen muss. Der Ball ging rechts am Tor vorbei.

Der Rest ist Routine. Gladbach war nie vollständig aus dem Spiel. Die Einwechslung von Drmic gab den einstudierten Spielzügen mit kurzen Zuspielen in die Zwischenräume vor dem Strafraum und Weiterleitung auf die Flanke ein neues Ziel. Hertha ließ sich düpieren.

Für den möglichen Sieg fehlte etwas, was die Mannschaft ohnehin nie in besonderem Maß besaß, und in dieser Rückrunde fast vollständig verlernt hat: Entschlossenheit. Die wenigen Siege von Hertha (seit dem heroischen, leider vollständig folgenlos gebliebenen 3:2 in Leipzig) warne Fallobst-Siege: Leverkusen war reif und wurde gepflückt, gegen den HSV reichte eine intensive Viertelstunde, und schon da war der Siegtreffer eher glücklich.

Dieser Mangel an Entschlossenheit hat mit dem Missverständnis zu tun, das Pal Dardai ständig kommuniziert: er spricht immer von Lernen (und sagt damit indirekt: später, irgendwann einmal, werden daraus Erfolge). Er weiß sicher selbst gut genug, dass man Erfolg nur durch Erfolg lernen kann. Deswegen ist es so erstaunlich, dass er ein Team geschaffen hat, das konkret mit Toren und insgesamt mit Siegen fremdelt.

Immerhin war der Auftritt in Gladbach spielerisch gut. Selbst nach dem Rückstand gab es noch Chancen auf einen Ausgleich. Die Mannschaft hat Potential, es fehlt vor allem im mentalen Bereich. Die letzten fünf Spiele werden so oder so spannend. Denn nun gilt es, das Saisonziel zu verteidigen. Hertha steht in den Top Ten. Wäre jetzt Schluss, hätte Hertha erreicht, was das deklarierte Ziel ist, und die Saison müsste trotzdem als große Enttäuschung gezählt werden. Dagegen wäre nun fünfmal Geschick und Entschlossenheit zu setzen. Dann müsste Hertha sich nicht weiter in den neutralen Zonen der Liga vor sich selbst verstecken.

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