von Marxelinho

Innendarstellung

Allmählich wird klarer, was es mit diesen Fußballspielen ohne Publikum hat. Am ersten Wochenende war ich einfach nur froh, wieder Bewegung auf einem Rasen zu sehen. Dann kam das Derby. Gestern spielte Hertha schließlich in Leipzig, gegen einen Club, gegen den es - abgesehen von einem heroischen Sieg - fast immer ernüchternde Pleiten gab.

Das leere Stadion hat einen naheliegenden Effekt. Es lässt das Spiel mit sich allein. Es ist gleichsam, als würde man es direkt Opta zum Fraß vorwerfen. Normalerweise empfinde ich die Massen im Stadion als Ablenkung, die mich von meinem konzentrierten Blick auf das Spiel trennt. Nun merke ich, dass sie eine schützende Hülle der Emotion sind, die nicht nur mich, sondern auch das Spiel vor zu viel Transparenz bewahren. Das Geisterspiel ist nackt.

Und ihm fehlt die Rückkopplung mit einer unmittelbaren Rezeption. Wir haben alle schon erlebt, was da für wundersame Dinge passieren können in einem vollen Stadion. Wie sich da etwas übertragen kann von der Mannschaft auf die Kurve, oder von den Rängen auf ein Team. Die Geisterspiele aber ernähren sich ausschließlich von sich selbst, sie sind wie Zellkulturen, denen nichts zugeführt wird, also ein Experiment im Leerlauf. Es sind Spiele zum Zweck der (Fernseh-)Übertragung, denen es aber genau daran mangelt: an der Übertragung, die normalerweise das resonante Oval erzeugt.

Natürlich habe ich mich trotzdem gefreut, dass Hertha die Sache gestern gut gemacht hat. Julian Nagelsmann berief sich nach dem 2:2 darauf, dass die Dosen zwei Tage weniger für die Regeneration hatten, so hatte es ihnen der dichte Spielplan beschert. Hertha ist unter Labbadia zu einer sehr homogenen Mannschaft geworden, das System hat nach dem Hoffenheim-Spiel mit Darida einen zusätzlichen Pressing-Faktor bekommen.

Gegen Union funktionierte allerdings die Balance zwischen Cunha und Darida besser. Der Brasilianer ist ja nicht wirklich ein Flügelspieler, Darida aber kam gegen die Eisernen viel über links, gestern war er klarerweise viel stärker defensiv gebunden. Beide Mannschaften boten einander wenig an. Ein Nachteil für Hertha war sicher das frühe Ausscheiden von Plattenhardt. Darida spielte danach (unverständlicherweise) eine Reihe von ruhenden Bällen kurz, und verschenkte damit einen der wichtigsten Faktoren in einem Spiel mit einer starken Tendenz zur bloßen Neutralisierung.

Mit den Dribblings von Cunha hatte Hertha schließlich das spielerisch bessere Mittel, während Leipzigs Tore (nach einem Eckball und nach einem sehr haltbaren Schuss) nicht gerade von dramatischer Dominanz zeugen. Hertha ließ Leipzig nicht zur Entfaltung kommen, die einstige Nemesis wirkte wenig bedrohlich.

In jedem Fall hat für Hertha die Saison unter Labbadia noch einmal mehr oder weniger von vorn begonnen. Die Mannschaft hat wieder ein Gefüge, und er hat offensichtlich auch das größte Defizit behoben: von der merkwürdigen Apathie, die schon unter Dardai oft zu verzeichnen war, ist derzeit nichts mehr zu sehen. Für die Verhältnisse eines Geisterspiels war Hertha gestern ausgesprochen lebendig.

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