Neulich ergab es sich, dass ich einem Abend lang an einem Tisch saß, an dem ein Schriftsteller aus dem süddeutschen Raum das Wort führte. Er ist nebenbei auch in der Kommunalpolitik engagiert, in einer Ortschaft in der Umgebung von Ingolstadt. Er hatte darüber sehr spannende Dinge zu erzählen, denn der wirtschaftliche Erfolg der deutschen Autoindustrie, die keineswegs die ganze Arbeit ins Ausland gebracht hat und in Bayern sehr ordentliche Gehälter zahlt, setzt mehr oder weniger eine ganze Region unter Wohlstandsdruck.
Ich erzähle das deswegen, weil absehbarer Weise der FC Ingolstadt (wo der Ex-Herthaner Alfredo Morales übrigens derzeit Stammspieler ist) nächstes Jahr in der ersten Liga spielen wird. Das behagt vielen Freunden und Bekannten gar nicht, ich lese abschätzige Bemerkungen über einen weiteren Werksclub in deutschen Spitzenfußball, auch wenn natürlich Audi nicht ganz so schlecht angesehen ist wie das Getränk, auf dem der Reichtum des Österreichers Dieter Mateschitz beruht. Es wurde von einem literarischen Feingeist einmal als "Rülpsbrause" bezeichnet. Rülpsbrause Leipzig.
Es gibt Werksclubs, und es gibt Traditionsclubs - so wird das unter vielen Fans tradiert. Tatsächlich ist die Vorstellung, dass der VfL Wolfsburg nächstes Jahr in der "Champions League" spielen könnte, auf den ersten Blick wenig attraktiv, emotional ist da nun einmal eine absolute Leerstelle.
Das war 2002 anders, als ich den Weg von Bayer Leverkusen ins Finale der "Champion's League" gespannt mitverfolgte, beeindruckt von Yildiray Bastürk, irgendwie auch von Klaus Toppmöller, damals noch völlig naiv in Hinsicht auf die feinen Unterschiede in der deutschen Fußballlandschaft. Aber ohne diese Naivität wäre ich wohl niemals Hertha-Fan geworden. Sie erlaubte mir den Kurzschluss, dass der größte Club einer so spannenden Stadt wie Berlin unbedingt auch toll sein müsste. Ich begriff erst später, dass Hertha ein Westberliner Provinzclub ist, der weder Traditions- noch Werksverein ist, oder sagen wir es anders: der mit seinen Traditionen nicht viel hermacht.
Das ist auch ein Grund, warum sich mir der Unterschied zwischen Traditionsclubs und Clubs, deren Existenzberechtigung in erster Linie in der Markenkommunikationl liegt, nur sehr bedingt erschließt. Der FC Bayern zeigt den Weg: im Grunde auch ein Werksclub, zugleich aber selber ein Werk. Und als Marke groß genug, um mehrere starke Marken mit sich verbinden zu können. Und im Zentrum eines Einzugsgebiets, das man mit Geld pflastern könnte, dessen Symptom der FCB damit aber auch ist.
Hertha hatte zuletzt für ein paar Jahre eine interessante Komplementärposition inne, weil die Deutsche Bahn als Sponsor fungierte. Die Deutsche Telekom und die Deutsche Telekom, das sind zwei Geschichten der Privatisierung in Deutschland, auch da ist es wieder charakteristisch, dass Hertha den Konzern abbekam, der als schlechtes Beispiel für die Liberalisierung gelten musste, bis man sich wieder ein bisschen besann. Heute ist die DB wieder halbwegs seriös, so seriös, dass sie die vier Millionen für Hertha nicht mehr aufbringen will.
Das macht auch Sinn, denn weder will die DB noch in so großem Stil als Weltunternehmen auftreten, wie das unter Mehdorn und seinen politischen Hinterleuten der Fall war, noch kann Hertha auch nur annähernd internationale Strahlkraft bieten. Das Image der Hauptstadt und das Image des Clubs sind weitgehend entkoppelt. Der Coup mit KKR hat Hertha in der Gefühlslandschaft des deutschen Fußballs eher isoliert, es wird jedenfalls beträchtlicher Aufbauarbeit bedürfen, irgendwann zu einem Traditionsclub zu werden.
Da hilft es natürlich, sich klarzumachen, dass vielleicht, wenn man sich die heutige wirtschaftliche und allgemeine Landschaft in Deutschland ansieht, der VfL Wolfsburg der viel zeitgemäßere Club ist als die schwankenden Institutionen in Süddeutschland und im Hanseatischen. Autos sind nach wie vor Exportgut par excellence, ein guter Teil des deutschen Reichtums ist immer noch Karossenkohle. Was hat Berlin mit seinen Touristenströmen, seinen Startups und seinem intellektuellen Potential da vergleichsweise zu bieten?
Vier Millionen sind eigentlich gar nicht so viel Geld, zu viel zwar, als dass man sich Suhrkamp als Hertha-Sponsor denken könnte (was wäre das für ein Coup: Hertha als Teil der Suhrkamp-Kultur!), aber eigentlich für viele Firmen in Reichweite. Die Wahl des nächsten Trikotsponsors, wenn es denn überhaupt eine Auswahl gibt, wird auch ein wenig dazu beitragen, in welche Richtung Hertha gehen wird, und ob es irgendwann einmal gelingen könnte, sich als innovativer Traditionsclub ein bisschen Geltung zu verschaffen.
Aufholen kann Hertha nichts, es geht nur, sich interessant zu positionieren. Die Ausgangslage, nämlich in der binären Logik der traditionellen Fans nicht enthalten zu sein, ist eigentlich eine sehr gute. Hertha ist der schwach definierte Verein in der Liga. Daraus müsste sich doch etwas machen lassen. Im Moment ist allerdings auch die sportliche Situation schwach definiert, und an der hängt nun einmal fast alles.
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