von Marxelinho

Jahresform mit Tagesformfehlern

Ich hätte einen kleinen Vorschlag für Pal Dardai: er täte besser daran, das Wort Tagesform aus dem Verkehr zu ziehen. Seine Aufgabe als Trainer besteht schließlich darin, eine Mannschaft zu bilden, die - möglichst unabhängig von Verletzungsproblemen, aktuellen Umständen und allen erdenklichen Widrigkeiten - einen erkennbaren Fußball spielt. Unbestritten gibt es so etwas wie Tagesform, als Trainer wird er aber vor allem auf alles schauen, was über die Tagesform hinausgeht.

Und da muss man nach dem 1:2 in Stuttgart eben sagen, dass Hertha zum dritten Mal in dieser Hinrunde ein Spiel, in dem die Mannschaft lange Zeit in allen Bereichen dominiert hat, nicht gewonnen hat - gegen Freiburg riss nach einem überraschenden Ausgleich der Faden, gegen Düsseldorf veränderte der Ausschluss von Mittelstädt alles. Gegen Stuttgart ließ Hertha eine Mannschaft zurück ins Spiel kommen, die davor 45 Minuten lang an Ratlosigkeit kaum zu überbieten war.

Dreimal Tagesform ergibt ein Muster. Zumal in einer Saison, die insgesamt wenig Verlässliches erkennen lässt. Hertha hat gegen Schalke und Bayern gewonnen (beide Male hatte der Gegner eine Tagesform, die ebenfalls auf größere Zusammenhänge hindeutete), Hertha hat gegen den BVB spät ein Remis gerettet (dieses Comeback ist besonders untypisch, denn normalerweise hat die Mannschaft so etwas nicht in Repertoire), Hertha hat wenigstens Hannover geschlagen - ausnahmsweise ein Sieg gegen eine desolate Mannschaft.

Nach fünfzehn Spielen ist zwar nicht zu bestreiten, dass Hertha in diesem Jahr eine "spannende Mannschaft" hat, wie Michael Preetz in der PK vor dem Stuttgart-Spiel sagte. Gegen die alten Probleme gibt es aber nur Andeutungen von Ansätzen. Hertha hat unter Pal Dardai ein Problem mit der Einstellung. Das äußerte sich, nach dem Abschied vom Abstiegsgespenst, zwei Jahre lang in Hinrunden, bei denen niemand so recht wusste, wie es geschah, und Rückrunden, die wie Korrekturen einer geschummelten Schulbarbeit wirkten.

Im Vorjahr führte das Einstellungsproblem zu einer anonymen Spielzeit, bei der man Hertha auch in die Lostrommel hätte werfen können, wo wenig schien die Mannschaft an Einfluß auf ihr Geschick interessiert.

In diesem Jahr ist vieles anders, gegen Stuttgart aber war wieder die Hertha aus dem Vorjahr da. Zum Teil auch personell, wegen des Ausfalls von Maier. Aber es wäre absurd, Skjelbred individuell etwas vorzuwerfen. Die ganze Mannschaft kam offensichtlich nicht damit zurecht, dass sie Stuttgart so mühelos eine Halbzeit lang dominieren konnte. In Wahrheit war das auch in Halbzeit eins wieder die zaudernde Hertha, die keinen Sinn dafür hat, sich ein Spiel zu schnappen.

Pal Dardai sprach vor der englischen Woche, von der nun noch ein Heimspiel gegen Augsburg und ein Auswärtspiel in Leverkusen, von vier Punkten aus drei Spielen. Die Mannschaft erhöhte angeblich auf sieben. Der Trainer hätte dieses Geplänkel niemals eröffnen dürfen, auch wenn es den Medien Spaß macht, und man es seiner "authentischen" Außendarstellung als Gewinn zurechnet.

Der Idealfal wäre doch der: Hertha wäre eine spannende Mannschaft, wenn sie in jedes Spiel in der Bundesliga mit einer realistischen Chance auf einen Sieg, und mit einem Konzept und einer Einstellung dafür geht. Dann reicht es wirklich, nach dem Spiel die Punkte zu zählen, und nicht schon während des Spiels die denkbaren. Und während des Spiels zu spielen. Und zwar intelligent und mit einem Wissen um die eigenen Fähigkeiten, und bei passender Gelegenheit mit einer Dominanz, die aus den eigenen Mitteln kommt.

Gegen Stuttgart war das gestern eine Dominanz, die aus dem schwarzen Loch der gegnerischen Mannschaft eine Halbzeit lang als Vorspiegelung falscher Tatsachen erwuchs - in der Halbzeit wechselte das Spiel dann gleichsam den Aggregatzustand, und Hertha stand neben sich. Das sind alles Erfahrungen, die auf den wahren Sachverhalt von Hertha BSC hinweisen: diese spannende Mannschaft gehört ins Niemandsland der Tabelle. Pal Dardai wird erst dann ein großer Trainer, wenn er ein plausibles Konzept für eine Jahresform entwickelt. Die kann dann immer noch schwanken, aber dann wüsste die Mannschaft wenigstens, worum es geht. Derzeit weiß sie gerade wieder einmal nicht, wie ihr geschieht.

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