Hertha hat den überregionalen Berichten vom Auswärtsspiel bei Bayer Leverkusen wieder einmal die Höchststrafe erhalten. Sie wurde mit einem Nebensatz abgefertigt, überall war nur von Lewandowski und Trainereffekt und dergleichen zu lesen. "Für Hertha ging es um nichts mehr", schreibt die Süddeutsche lapidar. Das ist natürlich ein Blödsinn.
Vier Spiele vor Saisonende ist der Abstiegskampf zwar weit entfernt, stattdessen befindet sich Hertha in einer noch kleinen Depression, die sich vom Ligaalltag gelöst hat. Es geht einfach nichts, und was geht, geht schief. Johannes van den Bergh wird sich sicher gedacht haben, dass er dieses Mal alles richtig machen will. Er wird es sich fest vorgenommen haben, wie sicher auch Änis Ben-Hatira. Ein Spielzug auf der rechten Seite von Leverkusen reichte, um die linke Seite von Hertha peinlichst zu entblößen.
In der Hinrunde konnte die Mannschaft solchen Rückschläge noch etwas entgegensetzen. In der Rückrunde kann sie das nicht mehr. Die Gründe dafür sind so komplex, dass auch die Betreuer offensichtlich Schwierigkeiten haben, sie ganz zu entschlüsseln. Von außen lassen sich nur sehr vage Vermutungen anstellen. Hier ein paar Aspekte.
Fitness: In der Laufleistung des Teams schlägt es sich nicht überdeutlich nieder, aber es ist doch so, dass fast alle Spieler müde wirken. Hosogaj etwa macht immer noch fast genau das, wofür er unter anderem geholt wurde, er läuft enorm viele Lücken zu, lässt auch als Innenverteidiger wenig zu, verliert kaum einen Ball. Aber seine offensiven Impulse sind überschaubar geworden, was man auch als Indiz für mangelnde geistige Frische nehmen kann. Ähnliches gilt generell, wobei die Gründe unterschiedlich sind. Skelbred ist sicher das, was man überspielt nennt. Cigerci und Baumjohann sind "unterspielt". Ronny ist ein Sonderfall, mit dem sich niemand mehr wirklich beschäftigen mag. Sein letzter Ballverlust gegen Leverkusen war von der Sorte, die selbst einen ruhigen Fan wie mich zornig macht.
Einstellung: Die mentale Stärke oder Schwäche eines Teams hängt mit dem körperlichen Zustand klarerweise zusammen, doch gibt es da noch die anderen Faktoren, die das Spiel so rätselhaft machen. Hertha hat keinen Spieler, der - durch Beispiel, durch natürliche Autorität, durch Inspiration - einen Umschwung in die Wege leiten könnte. Luhukay hat in einem ambivalenten Sinn ein Team von Mitläufern gebaut, was auch ganz buchstäblich zu verstehen ist: wenige andere Team in der Liga spielen so nahe an der Manndeckung, laufen also tatsächlich sehr weit mit zugeordneten Gegenspielern mit. Das komplementäre Element, das Ausschwärmen, das Umschalten, das Risiko, ging 2014 verloren.
Form: Eine weitere schwer fassbare Kategorie. Gut zu sehen am Beispiel Sami Allagui. Er ist einer der wenigen Herthaner, der mit einer Einzelleistung etwas machen kann. Er kann auch jemand überdribbeln. Er weiß, wann er auf den Ball steigen muss, um einen Verteidiger ins Leere rutschen zu lassen, danach kann er locker einschieben. Derzeit gelingt ihm nichts davon. Er tut auch nicht genug dafür, manchmal tut er wieder zuviel (Elfmeter in Mainz). Kein einziger Spieler hat die Form der Hinrunde.
Formation: Fabian Lustenberger galt lange als verletzungsanfällig, dann meinte man, er hätte sich körperlich stabilisiert, nun wird er de facto ein ganzes Halbjahr versäumen, und Hertha hält sich aus guten Gründen bedeckt über die genaueren Gründe. Eine Baustelle ist die Sache auch so. Denn es erweist sich, dass ein Innenverteidiger fehlt - als der Lustenberger ursprünglich nicht einmal gedacht war. Langkamp hat keinen Partner, mit dem er Stabilität entwickeln könnte. Die Sache mit Brooks ist, so steht zu befürchten, gescheitert, auch wenn es hart ist, das jetzt schon so brutal zu sagen - über den Beweis des Gegenteils würde ich mich enorm freuen. Hosogaj, Kobiashvili, Janker, Niemeyer, es fehlt im defensiven Zentrum eine produktive Autorität. Langkamp ist allein mit dieser Aufgabe überfordert. Die Problemzone strahlt auf den ganzen Rest der Mannschaft aus, dazu kam die Verletzung von Cigerci in einem Moment, in dem er dabei war, eine Achse zu etablieren. Das Flügelspiel hat auch der Coach amputiert, weil er zu streng war. Van den Bergh und Schulz sind weniger stabil als Pekarik und Ndjeng, beide probieren aber auch mehr aus als die beiden ein wenig faden Routiniers auf rechts.
Standards: Eindeutig hat die Qualität bei ruhenden Bällen nachgelassen. Ndjeng hat manchen Freistoß nicht einmal in den Strafraum gebracht. Dieses Phänomen hängt mit obigen zusammen (Fitness, Form, Mentalität), hat wohl auch mit Ungeduld zu tun. Meistens ist beim Anlauf schon zu sehen, dass der Spieler sich nicht hinreichend konzentriert hat. Und dass ein mehr oder weniger aus dem Fußgelenk getretener Slice nach 40 Metern nicht mehr die Schärfe hat, die sich in einen gefährlichen Kopfball übertragen lässt, wird niemand wundern. Auch den Spieler nicht, der ihn doch gerade getreten hat.
Die Fans von Bayer 04 Leverkusen haben am Sonntag einen "Kader mit Eier" gefordert. Das ist eine schöne Parole für Ostern, auch wenn die spanischen Eier gemeint sind, aus denen Männer vermeintlich ihre Kraft schöpfen. Wenn man gesehen hat, wie der Werksclub sich am Sonntag mit einem 2:1 gegen Hertha auf den "Champions League"-Qualiplatz geschleppt hat, dann bekommt man eine Ahnung davon, dass die vermeintlich "beste Liga der Welt" vor allem eine zermürbende Liga ist. Die Teams laufen einander mit relativ hoher Kompetenz Grundordnungen um die Ohren (um die Eier?), im März oder April fehlen dann fast schon die Kräfte, um noch gut zu spielen.
Hertha trifft am Eierwochenende auf Augsburg, wo auch die Kräfte schwinden. In der Hinrunde gab es ein 0:0, das allgemein als Enttäuschung gewertet wurde, und auch tatsächlich eines von vielen Abnützungsspielen war, von denen wir inzwischen eine Menge gesehen haben. In Augsburg begann vor zwei Jahren auch der Niedergang, der zum zweiten Abstieg führte: Hertha machte damals einen verunsicherten Gegner stark. Es wäre eine gute Gelegenheit, dieses Mal die eigene Verunsicherung durch einen starken Auftritt zu überwinden.
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