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Als ich jung war, da gab es noch einen Eisernen Vorhang, und dahinter eine Gruppe von Ländern, die unter der Knute des Kreml standen. Was im Kreml aber genau vor sich ging, das war so unklar, wie heute die Geschehnisse in der Kommunistischen Partei der Volksrepublik China. Es gab allerdings eine Geheimwissenschaft: Kremlinologie war eine Art höheres zwischen den Zeilen Lesen.
Auf einer etwas weniger bedeutsamen Ebene verhält es sich heute mit Fußballclubs ähnlich. Sie trachten danach, möglichst wenig nach außen dringen zu lassen. Man muss dann schon bei offiziellen Anlässen genau hinhören, um ein bisschen etwas von dem zu verstehen, was vor sich geht. Deswegen schaue ich mir nach Möglichkeit die Pressekonferenzen an, auch wenn es sich dabei deutlich um ein routiniertes Geschehen handelt, mit dem der kleine Kreis der ständigen Hertha-Beobachter gar nicht darüber hinwegzutäuschen versucht, dass die wahren Informationen anders zirkulieren.
Die Information, auf die es mir ankommt, lässt sich aber ohnehin nicht direkt erfragen: Ich horche Pal Dardai darauf hin aus, wie er die Mannschaft versteht. Er lässt da schon immer wieder etwas verlauten, was hellhörig macht. Zum Beispiel hat er bei der PK vor dem Dortmund-Spiel ein paar Sätze über Duda gesagt. Da war auch ein bisschen Kritik zu vernehmen, weil der Slowake nämlich Ballverluste produziert hatte. Und zwar nicht mit vertikalen Pässen, denn da ist das erlaubt.
Daraus resultieren zwei Fragen: Warum sucht die Mannschaft so selten den vertikalen Pass? Liegt es an der Adresse, also an einem Mangel an Spielern, die sich freilaufen und anbieten? Oder liegt es an den Absendern, denen die Intuition für den Raum und die gute Option fehlt, und vielleicht auch die Selbstverständlichkeit eingeübter Muster? Eine weitere Frage schließt sich da noch an: Wie geht die Mannschaft mit Ballverlusten nach vertikalen Pässen um? Das sind ja meistens die Gelegenheiten, bei denen man von Gegenpressing spricht - eine Möglichkeit, von der Hertha vergleichsweise wenig Gebrauch macht.
Duda war tatsächlich ein wenig zerstreut während seiner ersten halben Stunde, aber die ganze Mannschaft war nicht auf der Höhe. Der Coach spricht gern von Tagesform, und täuscht sich damit vielleicht auch ein wenig darüber hinweg, dass doch auffällig viele Tage mit mäßiger Form zu verzeichnen sind.
Das Zweite, was mir an der aktuellen Pressekonferenz auffiel, ist die neuerliche Betonung, dass Hertha keine Umschaltmannschaft ist. Dardai verband diese Feststellung mit einer Unterscheidung zwischen gutem und komischem Ballbesitz. Was ist komischer Ballbesitz? Genau hat er das nicht erklärt. Man könnte sagen: komischer Ballbesitz ist einer, mit dem eine Mannschaft nichts anfangen kann. Um dieses Problem zu vermeiden, setzen viele Mannschaften in der Bundesliga auf Umschaltspiel.
Es gilt als eine Art höhere Weihe, wenn eine Mannschaft von "Jagdfußball" (so hieß das damals unter Klopp beim BVB) auf Spielfußball umstellt. Es kann allerdings auch ein höherer Blödsinn herauskommen, wenn eine Mannschaft auf Ballbesitz setzt, wenn sie diesen nicht als komisch durchschaut. Bei Hertha ist häufig nicht so richtig klar, wann die Mannschaft das Spiel beruhigen möchte, um es dann gründlich und vorsichtig und überlegt und mit vielen sicheren Quer- und Rückpässen aufzubauen, und wann sie das Spiel wirklich spielen möchte.
Hertha BSC ist mit diesen Nöten keineswegs allein, sondern einfach ein spezieller Fall eines permanent durch Fragen des Selbstverständnisses behinderten Ligabetriebs. Gelingt einem Team einmal eine Weile etwas, wird es sofort auf neue Möglichkeiten des Selbstverständnisses hin getestet - von den Medien, aber auch von den Gegnern. Man könnte fast sagen: ein Team hat dann etwas erreicht, wenn es sich nicht selbst der größere Gegner ist als der Gegner.
Bei Pal Dardai ist noch nicht ganz heraußen (und wird es im Idealfall auch nie sein, denn er soll ja lernen), ob er eher ein Mentalitätstrainer ist oder ein Mannschaftsentwickler. So manche Äußerung der letzten Woche wies jedenfalls in eine eher bedenkliche Richtung: dass er beim HSV so konsequent von einem "dreckigen" Sieg sprach, der ihm vorschwebte, stand eigentlich seiner Grundsatzmeinung entgegen, dass Hertha an der Veredelung von Ballbesitz arbeiten sollte - und sich das auch leisten kann, denn der Klassenerhalt ist so gut wie geschafft.
Wir sehen also doch recht deutlich, dass auch die Betreuer nicht ganz wissen, woran sie mit Hertha BSC sind. Das ist wohl bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich. Gut sind Spiele dann, wenn sie klärend wirken, weil sie nicht nur komisch sind. Das wäre gegen den BVB schon einmal ein Anspruch.
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