Konkurrenzbeobachtung

Diese Woche kam ein Dokumentarfilm über Fans des 1. FC Union Berlin ins Kino: Union fürs Leben. Der Begriff Leben enthält die entscheidende Information: Die Beziehung zum Fußballverein ist häufig dauerhafter als die zum Lebensmenschen, der sich oft als Lebensabschnittsmensch erweist. Selten trifft man hingegen Menschen, die ihren Verein mit dem Lebensabschnitt wechseln. Kaum einmal wird jemand mit der Übersiedlung nach Berlin zum Hertha-Fan, wenn davor schon eine Fanbindung vorhanden war.

Union ist nun aber ein Club, der mindestens zwei Leben hatte. Darauf gehen Rouven Rech und Frank Marten Pfeiffer nur flüchtig ein, denn das wäre ein anderer Film geworden. Aber es zeigt sich auch in den Lebensgeschichten mindestens eines Fans, der von sich sagt: "Ja, ick hab auch vor der Wende eine Biographie." Er war Mauerpolizist, stand also in einem anderen Verhältnis zur DDR als die meisten Union-Fans, denen man damals eine "ablehnende Haltung zum Staat" zuschrieb.

So konnte es vorkommen, dass ein Bub auf dem Heimweg von einem Union-Spiel sein erstes Bild von Randale zu sehen bekommt: "Da lag eine Straßenbahn quer", erinnert sich Mario Czaja, heute ist er Politiker und fragt Menschen über den Gartenzaun, wo der Schuh drückt.

Das ist generell einer der Schwerpunkte des Films, der offensichtlich in enger Zusammenarbeit mit dem Sozialarbeiter-Verein Gangway entstand. Die berührendste Geschichte ist die von einem jungen Fan, der zwischendurch nicht einmal genug Geld hat, um sich Eintrittskarten zu leisten, und der auch ganz andere Sorgen hat, weil nämlich sein Vater abgängig ist. Dessen Alkoholkrankheit gibt Grund zur Sorge, für lange, bedrückende Momente ist der Fußball weit weg.

Die meisten Unioner, die sich in dem Film äußern, weisen jede Ostalgie zurück und beharren darauf, dass Union einfach ein Berliner Verein ist. Das bedeutet natürlich auch, dass "das große Spiel gegen die alte Dame" der Höhepunkt der Saison ist. Und auch des Films, denn das Derby in der vergangenen Zweitliga-Saison von Hertha taucht an zentraler Stelle auf. Rech und Pfeiffer hatten dabei dramaturgisch einiges Glück, denn der Spieler, den sie als eisernen Unioner auch immer wieder getroffen haben, spielte damals eine wichtige Rolle: Christopher Quiring egalisierte einen Führungstreffer durch Sandro Wagner, später gab es einen dieser berühmten Freistöße von Ronny, und es kam zu der größten denkbaren Schmach: "dass die in unserem Stadion jubeln" (Quiring).

Für Herthaner war es einer der größten denkbaren Triumphe, vermutlich fast so groß wie ein Sieg in der Arena auf Gazpomp. Ich merke an diesen Szenen, dass ich als Fan doch so etwas wie ein Quereinsteiger, ein Zugezogener bin und bleibe. Oder mehr noch: ich bin als Fan insgesamt anders strukturiert. Ich wurde Hertha-Fan noch in Österreich, und zwar hauptsächlich, weil ich Berlin mochte, weil ich es mir ausmalte, wie es wäre, in dieser Stadt zu leben. Und dazu gehörte nun einmal auch ein Fußballverein, der damals zwischen 1998 und 2000 mit einer guten Generation (Sixten Veit!) viele Anschlussmöglichkeiten bot.

Damals war es keine Frage, dass Hertha in Kontakt mit dem modernen Fußball insgesamt stand. Diese Sicherheit ging in den nuller Jahren mehrfach verloren, diese Saison begann mit einer emphatischen Bekräftigung, dass dieses Projekt wieder auf der Agenda steht. Jetzt geht es gerade durch eine Phase der Anpassung an die Realitäten. Aber es ist für meine Begriffe weiter aufrecht.

Union ist zweifellos auch in Kontakt mit dem modernen Fußball. Aber die Fans haben ein anderes Projekt, bezeichnenderweise fällt in dem Film von Rouven Rech und Frank Marten Pfeiffer kein einziger Satz, in dem es um Fußball geht. Stattdessen sehen wir als Rahmung ein Kerzenmeer: Unioner singen mit eisernem Tränenschimmer in den Augen davon, dass der Menschheit ein Retter geboren worden ist. Sie feiern Weihnachten in der Alten Försterei. Es ist die beste Szene des Films, denn sie zeigt, welch kuriose Formen von Zugehörigkeit in modernen Gesellschaften entstehen. Es ist aber auch die Szene, die für mich persönlich deutlich zu weit geht.

Da bin ich dann doch lieber Fan eines Großclubs, dem es egal ist, wie (oder ob) ich Weihnachten feiere, und dessen Rituale sich auf Fußball beschränken.

An diesem Wochenende steht die jährliche Premier-League-Reise an, die ich mir gönne. Ich fahre nach Liverpool, werden Arsenal im Goodison Park gegen Everton sehen. Hertha gegen Hoffenheim muss ich Sonntagabend aus der Konserve nachholen.

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