von Marxelinho

La Décima

Beinahe hätte ich es selbst übersehen, gestern aber stellte ich rechtzeitig fest: Heute vor zehn Jahren habe ich den ersten Eintrag in diese Fanchronik gemacht. Ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern, was ich mir damals dabei gedacht habe. Jedenfalls aber war es ziemlich unvermittelt. Hertha begann eine neue Saison mit einem Spiel gegen Bochum, und ich gab einfach meinen Senf dazu.

Einen Tag später folgte in einer Notiz über Gilberto ein Zitat von Marcelinho, das meinen Fannamen erklärt: "Mit ihm (also Gilberto) und Thorben Marx kann ich mir die Freiheiten nehmen, die Trainer Götz mir gibt." Falko Götz! Marcelinho! Gilberto! Thorben Marx! Those were the days. Some days.

Danach habe ich irgendwie einfach immer weitergemacht, obwohl es zwischendurch auch Zeiten gab, in denen ich stark überlegte, aufzuhören. Das hat nichts mit Hertha zu tun, sondern mit einer zunehmend dichter werdenden Informationswelt, die mich aus beruflichen Gründen wie auch aus persönlichem Interesse stark beansprucht. Die Übersiedlung aus dem Google-Imperium auf eine eigene Seite hat mich dann neu motiviert.

Was waren die größten Veränderungen in diesen zehn Jahren? Fußball ist einfach insgesamt noch viel wichtiger geworden. Und er wird auch immer intensiver kommentiert. Es hat sich eine Sprache der Connaissance entwickelt, die man keinem herkömmlichen Kritiker etwa von Literatur oder Film im Feuilleton mehr erlauben würde. Die Taktiktafeln sind die neue mise-en-scène, die Überladung ist eine Analogie zur Plansequenz, der abkippende Sechser ermöglicht der Rampensau weiter vorn einen kurzen Monolog, denn für nichts ist im Fußball mehr richtig Zeit, schon gar nicht für ein langes Solo.

Ich wollte immer auf einer etwas allgemeineren Ebene über meine Liebe zum Fußball schreiben. Bei Hertha und Arsenal versuche ich schon, genau hinzusehen - ein Beamer, der in mein Arbeitszimmer seit zwei Jahren ein sehr großes Bild wirft, hat die Sache noch einmal markant verändert. Aber ich versuche hier nicht, so etwas zu machen wie Spielverlagerung.

Wichtig ist mir eher Common Sense. Das Wissen über Fußball wird ja zunehmend datenbasiert, es entwickeln sich ganze Ökonomien der Auswertung, damit aber auch der Kommerzialisierung von Kennziffern. Und die Frage der Sichtbarkeit des Fußballs ist selbst in einem Maß eine Frage des Geldes geworden, die in der derzeitigen Goldgräberstimmung in der Bundesliga noch ein wenig verdeckt wird. Während der WM war ich die ganzen vier Wochen hindurch unschlüssig, ob ich den Faktor der öffentlich-rechtlichen (weitgehenden) Werbefreiheit für das höhere Gut halten wollte gegenüber dem doch äußerst dürftigen Journalismus, den die beiden Anstalten boten.

Common Sense bedeutet in diesem Zusammenhang: Ich bleibe ein Fan, will kein Experte sein, sondern lege allenfalls Wert darauf, als Fan nicht blöd zu sein. Für eine Fanmeile bin ich nicht geeignet, ich weiß es aber sehr zu schätzen, wenn etwa die Ostkurve im Olympiastadion ihr Ding macht.

Die größe persönliche Veränderung in diesen zehn Jahren war wohl die Entdeckung, dass man mit dem Fußball gut reisen kann. Ich kann mir Ziele vorgeben lassen, so komme ich an Orte, an die ich aus anderen Gründen vielleicht nicht gedacht hätte. Eine Fahrt nach Ventspils in Lettland war da eine Schlüsselerfahrung, auch wenn das Spiel dann in Riga stattfand, eine Begegnung zwischen Rumänien (Maximilian Nicu) und Serbien (Marko Pantelic) in Constanta bleibt mir unvergesslich, und die Fahrt nach Lemberg anlässlich der EM 2012 hat dazu geführt, dass ich seither intensiv verfolge, was in der Ukraine passiert. Ein Abend im Stadion von Olympiacos Piräus war wohl der Höhepunkt in Sachen Fankultur.

Und dann ist da noch England. Fulham, Newcastle, Wigan Athletic, Everton, Norwich City und natürlich Arsenal habe ich schon auf ihren Grounds gesehen, für die nächsten zehn Jahre habe mir vorgenommen, sukzessive die berühmten und weniger berühmten Stätten aufzusuchen, die zum Teil ja so überraschend wenig zur global immer noch dominierenden Premier League passen: Ehrwürdige, ächzende Stadien sind das häufig, die einen ganz anderen Eindruck machen, als man von den Fernsehbildern vermuten würde.

Dem größten diesbezüglichen Aha-Effekt hatte ich in Highbury, doch dort kam ich zu spät. Gemeinsam mit dem Kollegen Valdano besichtigte ich den legendären Arsenal-Ground im Sommer der Übersiedlung in das Emirates, kurz vor dem Abriss der Traditionsspielstätte, die ganz und gar nicht vermuten ließ, dass hier bis 2006 ein Weltklub seine Heimspiele abhielt. Heute ist es undenkbar, dass Arsenal nicht übersiedeln hätte können. Damals aber gab es viele, die sehr skeptisch waren.

Zur Feier der neuen Saison, aber auch der Décima dieses Blogs werde ich am Wochenende nach London fahren und mir Arsenal gegen Crystal Palace ansehen. Herthas Auftritt im Pokal deswegen auf einem Computerbildschirm in einem Hotel, sofern das WLan ausreichend schnell ist. Zu jedem Bild, das man sich selber macht, muss man ein anderes hinzunehmen, das uns stark darauf verweist, in welch hohem Maß Fußball ein Medienphänomen geworden ist. Durch die Spannung zwischen diesen beiden Erfahrungen fühle ich mich inspiriert, hier weiterzuschreiben.

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