Leitlkultur

Artisten in der Oly-Schüssel ratlos: Hertha BSC im August 2025

Einer aus meiner Hertha-Blase hat es gestern  Abend getan. @juriberlin hat auf Bluesky, wo wir eine kleine #hahohe-X-Diaspora gebildet haben, schon um 18.53 geschrieben: "Einer muss es ja tun: Leitl raus." Ich lese das als einen halb ironischen, halb resignierten Satz, ein typisches Zeugnis eines reflektierten Fußballfans, der längst weiß, dass jede Äußerung zu einem aktuellen Spiel, zu einer neuen Situation unter dem Vorbehalt steht, dass wir alle diese (solche) Dinge schon hundert Mal gedacht haben. Trainer raus, Manager raus, irgendwer raus, irgendwer rein, warum jetzt gerade der rein und der raus? Das ist unser Los als Fans. Nach dem 0:2 gegen Elversberg am Freitagabend gibt es allerdings auch konkreten Anlass zu Überlegungen, ob Stefan Leitl der richtige (also: der momentan beste mögliche) Trainer für die Profis von Hertha BSC ist. Eine andere, vermutlich eher ungewollt ironische Reaktion war gestern Abend ja auch schon wieder zu vernehmen: Menschen sehnen sich nach Pal.

Ich habe alle fünf Spiele der bisherigen Saison gesehen, woraus sich auch eine intellektuelle Ernüchterung ergibt: es fällt schwer, Schlüsse zu ziehen. Auch Leitl selbst hat sich ja in der Pressekonferenz nach dem Spiel darauf berufen. Er kann sich den Unterschied zwischen Darmstadt auswärt und Elversberg im Heimspiel nicht erklären. Dass ein Heimkomplex aus dem Vorjahr nachwirken könnte, ist allerdings ein Teil einer möglichen Erklärung. Auch im Frühjahr 2025 gelang der Befreiungsschlag auswärt, in Braunschweig.

Gestern waren die Probleme aber auf eine spezielle Weise hausgemacht. Sie haben für meine Begriffe damit zu tun, dass Leitl von Benjamin Weber einen Kader angeboten bekommen hat, mit dem er nicht so richtig etwas anfangen kann. Die Schlüsselfigur war für mich Thorsteinsson - eine typische Weber-Verpflichtung, ein Spieler, der bisher nicht deutlich machen konnte, dass er eine Verstärkung ist – wobei ich solche Einschätzungen in der Regel beiden Beteiligten in Teilen zuschreibe, denn Hertha konnte mit ihm bisher auch wenig anfangen. Gestern war 45 Minuten das ganze System unrund, und zwar als eine Konsequenz aus widersprüchlichen Überlegungen. Weber hat mit Grönning und Kownacki zum Teil schon früh zwei Mittelstürmer eingekauft, die ähnliche Qualität haben dürften, und die beide bisher nicht in die Mannschaft integriert sind. Reese ist (nicht der Form, aber dem Status nach) die Kronjuwele, um die herum alles gebaut werden muss. Dazu kommen mit Krattenmacher und Cuisance zwei Zehner, die gestern beide out of position aufliefen.

Thorsteinsson begann am rechten Flügel, verhielt sich aber oft so, als wollte er Eitschberger einen Raum lassen für Offensivläufe, die nie kamen. Er spielte eher dort, wo Cuisance oft seine besten Momente hat, der aber meistens weiter hinten gebunden war, weil er Jensen absichern musste, dem man anscheinend einen Alleinsechser (vor einer Fünferkette!) nicht zutraut. Zur Halbzeit korrigierte Leitl die offensichtliche Fehlkonzeption, dann nahm er aber just in einem Moment, in dem Krattenmacher allmählich ins Spiel fand, diesen aus dem Spiel. Und ließ Winkler in etwa dort spielen, wo Thorsteinsson sich schon davor nicht zurechtgefunden hatte.

Leitl hat im Grunde alles ausprobiert in den ersten fünf Spielen, was sich so anbot: Verzicht auf Herausspielen zugunsten langer Bälle in den spekulativen Reese-Raum, Hoffnung auf die "Aufdreher" Cuisance und Krattenmacher. Die naheliegende Formation scheitert auch daran, dass die Verpflichtung von Diego Demme ein schlechtes Horoskop zu haben scheint. Hertha hätte für meine Begriffe die besten Chancen mit einem starken Ankersecher (der halt nicht da ist), davor Krattenmacher links und Cuisance recht, davor Reese, Tabakovic und von mir aus Winkler, dahinter eine Viererkette. Ach ja, Tabakovic ist nicht mehr da, und gleichwertiger Ersatz wurde bisher nicht gefunden. Dieses 4-3-3 wäre riskant, aber ein Aspekt der bisherigen Saison ist ja auch, dass Hertha (Ausnahme: Darmstadt und zum Teil Karlsruhe) gerade eine langweilige Mannschaft hat. Reese ist offensichtlich schon patzig, Krattenmacher bekommt zu wenig Vertrauen und wird oft zweckentfremdet, Cuisance hat zu wenig Momente. Zeefuik, sonst manchmal ein Katalysator, war gestern konfus.

Benjamin Weber hat sehr viele Spieler verpflichtet, seit er dafür veranwtortlich ist. Seine Bilanz ist nicht besonders gut, das muss man leider so sagen. Und Leitl experimentiert mit einem amorphen Kader. Seine Einwechslungen gestern hatten etwas Absurdes, abgesehen von der plausiblen Revision zur Pause.

Damit ist Hertha in einer für Fußballclubs typischen Situation: Niemand kann genau sagen, woran was liegt. Niemand hat den goldenen Schlüssel, für eine Lösung. Deswegen hat @juriberlin gestern seinen Post mit einem deutlich vernehmbaren Seufzer abgesetzt. So habe ich es jedenfalls gelesen. Weil ich selber enttäuscht war. Das Abendlicht im Oly war übrigens großartig gestern.

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