von Marxelinho

Lernkurve

Marcel Ndjeng hat in einem Beitrag für den RBB Sportplatz eine leicht verwirrende Definition des aktualisierten Saisonziels gegeben: "Wir spielen eigentlich um den Klassenerhalt, wir spielen nicht jetzt in dem Sinne gegen den Abstieg, oder um den Abstieg, sondern eher um den Nichtabstieg." Der Satz passt zu den Diskussionen, die ich am Wochenende aus den digitalen Netzwerken so mitbekommen habe. Darin ging es vor allem um die Frage, ob es berechtigt war, dass die Hertha-Fans am Ende des torlosen Remis gegen Freiburg am Freitag ein Pfeifkonzert hören ließen, oder ob das nicht schon wieder von überhöhten Erwartungen zeugt. Unglücklicherweise ist das so eine Art medialer Mythos geworden: dass sich in Berlin die Träume immer besonders schnell von der Wirklichkeit entfernen. Dazu kann ich nur sagen: das wird in aller Regel von dem Medien so herbeigeschrieben. Wie überhaupt der Diskurs, von dem die Liga umgeben wird, oft von einer sagenhaften Idiotie ist: Statt um Spiele geht es in siebzig Prozent der Fragen um das dauernde kleinteilige Umschreiben von Saisonzielen. Wie öde. Die Fans, die ich kenne, sind alle mehr als realistisch. Aber sie übertragen etwas aus der eigenen Lebenswirklichkeit auf den Club, was nun einmal zu den Grunderfahrungen gehört: dass man sich mit dem Erreichten meist nicht zufrieden gibt. Wenn ich ein gutes Buch gelesen habe, macht mich das in aller Regel neugierig auf ein paar weitere. Wenn ich einen Berg bestiegen habe, interessiere ich mich für den daneben, oder möchte irgendwann noch einmal auf denselben Gipfel. Hertha ist gerade in einer Phase, die von einer Berliner Tageszeitung mit dem Begriff Wachstumsschmerzen beschrieben wird. Ich würde es anders beschreiben: Die Mannschaft hat begriffen, dass sie entzaubert worden ist. In der Hinrunde sind manche Sachen gelungen, die auch mit Leichtigkeit und Glück zu tun hatten. Der Sieg in Dortmund erwies sich dabei als ambivalent, denn er brachte Hertha dem deklarierten Saisonziel schon sehr nahe, machte andererseits die Möglichkeiten eines Mitspielens um die Euro League unabweisbar. Im neuen Jahr gab es ein paar Mal Pech (Skjelbred gegen Frankfurt, van den Bergh gegen Nürnberg), und in der Tendenz ergab sich gegen Freiburg etwas, was Fans eben schwer durchgehen lassen: Langeweile. Die derzeit abenteuerlichste Mannschaft der Liga, die TSG 1899 Hoffenheim, liegt sechs Punkte hinter Hertha, und im Zweifelsfall wird vermutlich niemand tauschen wollen. Doch weist die Momentaufnahme vom Freitag in eine Richtung, die einen Verdacht keimen lässt, den niemand gern zulassen wird: dass Jos Luhukay ein Trainer ist, der auch seine Grenzen hat. Gegen Freiburg gab es zehn Minuten Probe auf ein Dominanzspiel, das in der Liga nur wenige Mannschaften versuchen. Es sind die, die nicht anders können. Schon von Platz 5 an haben wir es mit Teams zu tun, die Sicherheitsfußball spielen, aus dem heraus mehr oder weniger gelungene Momente entwickelt werden. Die Fans hätten vielleicht erwartet, dass es (offensichtlich gab es so etwas wie einen Matchplan) noch zwei weitere Phasen höheren Pressings gegeben hätte, doch die restlichen 80 Minuten ließ Hertha sich nicht mehr aus der Reserve locken. Die Pfiffe brachten zum Ausdruck, dass Reserve nicht das neue Saisonziel sein soll. Oder wenn, dann allenfalls in den Sprachregelungen.

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