Magnetfeld

Die starke Erstliga-Saison von Hertha bringt weiter knappe Spiele. Gegen Bayer Leverkusen, nach diesem Spieltag auf Tabellenplatz zwei, brauchte es sogar eine Fehlentscheidung der Unparteiischen, um dem Spiel nach einer halben Stunde eine Richtung zu geben: Hegeler stand bei einem Konter knapp im Abseits, er leitete den Ball zu Kießling weiter, der Kraft keine Chance ließ.

Das Tor war von der Sorte, die man schon in der Entstehung begreift: An der Mittellinie ergab sich durch das Balleroberungsspiel von Hertha eine Verdichtung von Personal, aus der 04 sich befreien konnte, und dann ging es ganz schnell, plötzlich war das Magnetfeld, das davor von hochkonzentriertem Paarlauf geprägt gewesen war, kurz gestört, der Kompass rotierte, die Roten hatten räumlichen Vorteil. Man kann der Viererkette bescheinigen, dass sie auch in dieser heiklen Situation, die man auch und gerade vom Oberring aus sofort als gefährlich erkennen konnte, die Ruhe und Übersicht hatte, Hegeler abseits zu stellen. Doch der Linienrichter sah es nicht, und so zählte der Treffer, der einzige an diesem windigen, nun doch schon deutlich spätherbstlichen Nachmittag.

Leverkusen hatte in der zweiten Halbzeit noch zwei große Konterchancen, die beide vereitelt werden konnten, eine von dem neuerlich sehr gut herauslaufenden Thomas Kraft. Hertha hingegen hatte wenige zwingende Gelegenheiten, obwohl die Idee deutlich erkennbar war: stärker als sonst ging es über die Flügel, Flanken kamen aber häufig schon aus dem Halbfeld. Die beiden Außenverteidiger sind anständige Fußballer, kommen aber selten in eine gefährliche Position.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit gab es ein paar Minuten, auch geprägt durch den eingewechselten Hany Mukhtar, in denen sich ein begeisterndes Offensivspiel andeutete, doch ließ Leverkusen insgesamt doch zu wenig zu, und Hertha hatte zu wenig zuzusetzen, spielte nach der Einwechslung von Sandro Wagner auch mit zehn Mann, nach der Einwechslung von Ronny mit neuneinhalb.

Auffällig ist mehr und mehr, dass die technische Grundqualität der Mannschaft enorm gewachsen ist. Die Fähigkeit, unter Bedrängnis den Ball zu behaupten und weiterzuspielen, das kleinteilige Kombinationsspiel, auch die Zweikampfökonomie (van den Bergh!) sind exzellent, es fehlt allerdings an dem letzten Detail, an dem Moment der Veredelung, in dem es eben auch auf Technik ankommt (Ben-Hatiras Ballannahme, zugegeben ein schwieriges Manöver, in der ausssichtsreichen Situation nach einem langen Verlagerungspass). Doch auch vier Spieltage vor Halbzeit und vier bis sechs Wunschpunkte vor einem sehr beachtlichen Zwischenergebnis bleibt meine Begeisterung vom Frankfurt-Spiel aufrecht: das ist moderner Fußball, und das sind allesamt gute Fußballer, deren Lernprozesse und der Professionalität zu beobachten ein Vergnügen ist, auch wenn es sich dabei um Behauptungsversuche in Mittelfeld einer sehr dichten Liga handelt, und nicht schon um europäische Projekte.


Das Publikum ist dem Verein allerdings mit dem Anspruchsdenken doch schon ein wenig voraus. Das war aus dem Reaktionen bei uns oben deutlich zu vernehmen. Eine gewisse Ungeduld ist da schon wieder da, sie konzentriert sich auf einzelne Spieler, auf Thomas Kraft, der bei manchen Fans mit eingebauter Anspruchshaltung angezählt ist (seine "distribution" ist tatsächlich verbesserungswürdig), und auch immer wieder auf Änis Ben-Hatira, dessen Spiel natürlich durchwachsen ist. Doch insgesamt kann Hertha mit dem Ball etwas anfangen, gegen den CL-Club Leverkusen war die Mannschaft erneut fast auf Augenhöhe. Die Effektivität, die für ganz oben gebraucht wird, ist das Ergebnis langer, gelungener Lernprozesse, in denen Hertha an einem sehr interessanten Anfang steht.

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